Rn 8
Im Mittelpunkt der Rechtsanwendung steht die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung im auszusetzenden Rechtsstreit vom Ausgang eines anderen Rechtsstreits abhängt.
I. Rechtskrafterstreckung und Gestaltungswirkung.
Rn 9
Die sachlichen Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 148 liegen vor, wenn im anderen Rechtsstreit im Sinne echter Präjudizialität mit materieller Rechtskraft für den auszusetzenden Rechtsstreit über ein Rechtsverhältnis entschieden wird, das im auszusetzenden Rechtsstreit Entscheidungsrelevanz besitzt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss das Rechtsverhältnis den Gegenstand des anderen Rechtsstreits bilden. Demnach scheidet eine Aussetzung aus, wenn das Rechtsverhältnis nur eine Vorfrage für die Entscheidung des anderen Rechtsstreits behandelt. Paradigma für diese Fallgruppe echter Rechtskrafterstreckung ist etwa die Aussetzung einer Herausgabeklage nach § 985 BGB, wenn im Parallelprozess ein Feststellungsurteil zur Frage der Eigentümerstellung erstritten wird (zur Kasuistik vgl § 322 Rn 17 ff). Echte Rechtskrafterstreckung ermöglicht die Aussetzung auch in den Fällen der Aufrechnung mit rechtswegfremden Forderungen, die das angerufene Gericht mangels Entscheidungskompetenz nicht bescheiden darf (vgl § 145 Rn 24). Im arbeitsgerichtlichen Verfahren liegt echte Präjudizialität auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer in getrennten Prozessen Kündigungsschutzklage erhebt und Annahmeverzugslohn geltend macht. Aufgrund des arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatzes (§ 9 I ArbGG) kommt eine Aussetzung der Leistungsklage nur im Ausnahmefall, etwa dann in Betracht, wenn die in zeitlichem Abstand zum abgeschlossenen Leistungszeitraum erhobene Leistungsklage erkennbar nicht der Deckung des laufenden Lebensunterhalts dient (zur Aussetzung im arbeitsgerichtlichen Verfahren ausf Schwab/Weth/Korinth § 55 Rz 32 ff). Unterhalb der Ebene der Rechtskrafterstreckung ist das Kriterium der Vorgreiflichkeit auch dann erfüllt, wenn sich die Entscheidung im anderen Rechtsstreit mit Gestaltungs- oder Interventionswirkung nach § 74 III, § 68 auf den auszusetzenden Rechtsstreit erstreckt. Eine Vollstreckungsabwehrklage kann bis zum Abschluss eines Klauselerteilungsverfahrens ausgesetzt werden, da die Klauselerteilung eine Vollstreckungsvoraussetzung ist, deren Fehlen das Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage entfallen lässt (Saarbr Beschl v 2.3.18 – 4 W 28/17). Für Statusprozesse gelten Sonderregelungen (§§ 152 ff). Generell gilt, dass die strikte Beachtung dieser Grundsätze den Anwendungsbereich der Aussetzung verengt.
II. Vorgreifliches Verwaltungsverfahren.
Rn 10
Ein Verwaltungsverfahren rechtfertigt die Aussetzung, wenn das Gericht an die Verwaltungsentscheidung gebunden ist (zB bei Entscheidungen der Sozialversicherungs- und Versorgungsträger bei Dienst- und Arbeitsunfällen; BGH NJW 09, 3238 [BGH 19.05.2009 - VI ZR 56/08]). Außerhalb der echten Bindung ist eine Aussetzung auch dann sinnvoll, wenn im Rechtsstreit nicht die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung, sondern lediglich ihr tatsächlicher Erlass Entscheidungsrelevanz besitzt. So kommt im Unterhaltsprozess eine Aussetzung in Betracht, wenn der Unterhaltsschuldner im Verwaltungsverfahren die rückwirkende Bewilligung einer Sozialversicherungsrente erstrebt. Es ist regelmäßig ermessensfehlerhaft, ein Kündigungsschutzverfahren eines Schwerbehinderten bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auszusetzen, welches gegen die vom Integrationsamt erteilte Zustimmung zur Kündigung eingeleitet wurde (LAG Rostock NZA-RR 17, 374 [LAG Mecklenburg-Vorpommern 17.03.2017 - 5 Ta 8/17]). Ggf ist nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Wege der Restitutionsklage die Wiederaufnahme des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu betreiben. Diese Grundsätze gelten auch im Anwendungsbereich der § 18 I BEEG und § 17 II MuSchG (BAG MDR 04, 215).
III. Kasuistik.
1. Muster- und Parallelprozesse.
Rn 11
Klagt der Kl in zwei selbstständigen Verfahren Teilbeträge derselben Forderung ein oder wollen mehrere Kl aus parallel gelagerten Sachverhalten gegen denselben Beklagten gleich gelagerte Ansprüche einfordern, so liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht vor. Der Ausgang der parallel geführten Prozesse ist voneinander unabhängig. Dennoch wird das Gericht im Einzelfall darauf hinwirken, mit Zustimmung der Parteien den Weg des § 251 zu beschreiten (BGHZ 162, 376; MDR 19, 1011 m Anm Bacher MDR 19, 1367; St/J/Roth Rz 19). Eine Aussetzung in analoger Anwendung des § 148 ist zulässig, wenn zwischen denselben Prozessparteien ein Revisionsverfahren anhängig ist, in welchem Rechtsfragen zu beantworten sind, die sich als Vorfragen im auszusetzenden Rechtsstreit stellen (KG OLGR 09, 9579). Darüber hinaus kommt eine Aussetzung mit Blick auf ein anhängiges Revisionsverfahren dann in Betracht, wenn die Zahl der betroffenen Parallelverfahren so groß ist, dass eine angemessene Bewältigung aller Verfahren nicht möglich ist (BGH MDR 12, 539: allerdings stellt der BGH hohe Anforderungen an den Nachweis der Überlastung). Das KapMuG ordnet in seinem An...