Gesetzestext

 

(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.

A. Verfahren.

 

Rn 1

Die mit den Wirkungen des § 249 versehene Aussetzung wird als prozessleitende, in das Ermessen des Gerichts gestellte Maßnahme durch einen vAw zu erlassenden Beschl, dem nach § 128 IV keine mündliche Verhandlung – wohl aber die Gewährung rechtlichen Gehörs – vorangehen muss (BGH MDR 11, 1441), angeordnet. Der Beschl ist in der gebotenen Kürze zu begründen, damit die Ermessensausübung nachvollzogen werden kann. Bei der Ermessensausübung muss das Gericht insb die Gesamtdauer des auszusetzenden Verfahrens sowie die zu prognostizierende Dauer des vorgreiflichen Verfahrens berücksichtigen. Der Anspruch der Parteien auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann insb einer wiederholten Aussetzung entgegenstehen (BVerfG NJW 13, 3432 [BVerfG 05.08.2013 - 1 BvR 2965/10]). Der Beschl muss nach Maßgabe des § 232 eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. Die Ablehnung eines Aussetzungsantrags bedarf nicht zwingend eines gesonderten Beschl, sondern kann auch erst in dem Endurt erfolgen.

B. Anwendungsbereich.

 

Rn 2

Eine Aussetzung ist grds in jedem zivilprozessualen Verfahren möglich (zur Aussetzung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde im Patentverletzungsrechtsstreit: BGH GRUR 12, 93 [BGH 28.09.2011 - X ZR 68/10]).

I. Eilbedürftige Verfahren.

 

Rn 3

Einschränkungen unterliegen Verfahren, die eine eilbedürftige Entscheidung verlangen. Dies gilt insb im einstweiligen Rechtsschutz: Hier ist eine Aussetzung allenfalls im Widerspruchsverfahren nach § 924 oder im Verfahren nach § 927 in Betracht zu ziehen (MüKoZPO/Fritsche Rz 2; Ddorf NJW 85, 1966; München MDR 86, 681). Im Urkundenprozess scheidet eine Aussetzung bis zum Erlass des Vorbehaltsurteils regelmäßig aus (Zö/Greger Rz 4); sie kommt aber dann in Betracht, wenn in einem anderen Verfahren über die Echtheit der Urkunde gestritten wird (Wieczorek/Schütze/Smid Rz 15; München JurBüro 03, 154). In der Zwangsvollstreckung ist eine Aussetzung nur in den Verfahren nach § 767 und § 771 möglich. Auch im Insolvenzverfahren steht die Eilbedürftigkeit des Verfahrens einer Aussetzung entgegen (BGH NZI 06, 642). Generell wird das Gericht von einer Aussetzung absehen, wenn das Rechtsschutzinteresse durch eine Hinauszögerung der Entscheidung in Wegfall zu geraten droht (vgl LAG Düsseldorf NZA-RR 17, 435 [LAG Düsseldorf 22.03.2017 - 4 TaBV 102/16]).

II. FamFG-Verfahren.

 

Rn 4

Eine Aussetzung nach § 148 ist möglich. In den nichtstreitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit kann allerdings die Funktion des jeweiligen Verfahrens einer Aussetzung im Einzelfall entgegenstehen (Wieczorek/Schütze/Smid Rz 18f): So ist etwa im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren dessen Eilbedürftigkeit zu beachten. Das Feststellungsmonopol der Landesjustizverwaltung für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen (§ 107 I FamFG) zwingt nicht zur Aussetzung: Das Gericht ist iRd Ermessensausübung im Einzelfall nicht gehindert, eine Prognose über den Ausgang des Anerkenntnisverfahrens aufzustellen (Nürnbg OLGR 09, 148).

III. Rechtsmittelverfahren.

 

Rn 5

Das Berufungsgericht kann aussetzen, soweit die Aussetzung nicht dazu dient, gem § 531 ausgeschlossene Angriffs- und Verteidigungsmittel in das Verfahren einzuführen. In der Revisionsinstanz ist neues Tatsachenvorbringen nur im Ausnahmefall beachtlich; hier kommt eine Aussetzung zur Einführung neuer Tatsachen insb dann in Betracht, wenn die Tatsachen einen vAw zu berücksichtigenden Aspekt betreffen (vgl BGH NJW-RR 92, 1149 [BGH 07.05.1992 - V ZR 192/91]).

C. Gegenstand eines anderen Rechtsstreits.

I. Anhängiger Rechtsstreit.

 

Rn 6

Die Aussetzung kann nur mit Blick auf einen anhängigen, vom Ausgangsverfahren verschiedenen Rechtsstreit angeordnet werden. Eine Aussetzung bis zur Zustellung einer Streitverkündungsschrift im anhängigen Rechtsstreit ist nicht möglich (BGH MDR 18, 1144 [BGH 22.03.2018 - I ZR 76/17]). Bis zum Abschluss des Mahnverfahrens ist eine Aussetzung nicht zulässig; erst die Abgabe an das zur Durchführung des Streitverfahrens zuständige Gericht (§ 696 I) ermöglicht eine Aussetzung. Allerdings muss der Rechtsstreit nicht zwingend im Zivilrechtsweg anhängig sein. Auch ein vor Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten anhängiger Rechtsstreit sowie ein anhängiges Schiedsverfahren (BGHZ 23, 26), nicht aber ein Schlichtungsverfahren nach § 15a EGZPO (Saarbr Beschl v 16.12.13 – 2 W 19/13) kann Anlass für eine Aussetzung sein. Wird parallel zum Hauptsacheverfahren ein Antra...

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