Rn 2
Die dargestellte Stellung in der Systematik des Verfahrensrechts verbietet es, Wiedereröffnung nach Abs 1 allein deshalb anzuordnen, weil der im nicht nachgelassenen Schriftsatz enthaltene Sachvortrag Entscheidungsrelevanz besitzt. Jedoch ist eine Wiedereröffnung geboten, wenn das Tatsachenvorbringen nach § 531 II Nr 3 Berücksichtigung finden müsste: Es dient letztlich der Konzentration des Verfahrens, wenn der Streit unter Vermeidung eines Rechtsmittels in der eröffneten Instanz erledigt werden kann (vgl BGH NJW 07, 1357, 1360 [BGH 11.01.2007 - IX ZR 31/05]: eine Wiedereröffnung ist nicht geboten, wenn das verspätete Vorbringen allein auf Nachlässigkeit beruht). Eine durch Zeitablauf innerhalb der Spruchfrist eingetretene Änderung der materiellen Rechtslage – zu denken ist etwa an den Ablauf einer Kündigungsfrist – zwingt nicht zur Wiedereröffnung: Es ist nicht interessenwidrig, wenn der Kl den prozessualen Nachteil aus der zu früh erhobenen Klage trägt. Ebenso wenig ist das Gericht zur Wiedereröffnung gezwungen, wenn die Fälligkeitsvoraussetzungen eines Anspruchs erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung geschaffen werden. Auch im Fall einer neuen Antragstellung oder der Erhebung einer Widerklage steht die Wiedereröffnung im Ermessen des Gerichts: Bei Entscheidungsreife kann unter Beachtung der Vorgaben des § 145 (vgl § 145 Rn 8) unter gleichzeitiger Abtrennung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung anhängigen Streitgegenstands instanzbeendend entschieden werden. Eine Wiedereröffnung kann geboten sein, wenn sich eine Partei in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz unter Vorlage eines Privatgutachtens mit dem Ergebnis eines in der mündlichen Verhandlung erstatteten Gutachtens auseinandersetzt (regelmäßige Pflicht zur Wiedereröffnung insb im Arzthaftungsprozess, BGH NJW 01, 2796; einschränkend bei Verstoß gegen Prozessförderungspflicht: Schlesw DAR 18, 150). Die Wiedereröffnung zum Zwecke der vergleichsweisen Erledigung des Rechtsstreits ist im Regelfall nicht sachgerecht, sofern die Anregung zum Vergleichsgespräch nur einseitig vorgetragen wird. Beantragen indessen die Parteien einvernehmlich, den Verkündungstermin aufzuheben, weil sie ernsthafte Vergleichsgespräche führen, kommt eine Wiedereröffnung in Betracht. Zumindest ist den Parteien durch Verlegung des Verkündungstermins (§ 227 I) Gelegenheit zu geben, sich über den Erfolg ihrer Vergleichsbemühungen zu erklären, um ggf auch die Option zu nutzen, nach § 251 das Ruhen des Verfahrens zu beantragen (vgl BGH MDR 20, 282 [BGH 13.12.2019 - V ZR 152/18]).