Gesetzestext
(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.
(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn
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das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt, |
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nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder |
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zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist. |
A. Bedeutung.
Rn 1
Nicht selten reichen Parteien nach Schluss der mündlichen Verhandlung Schriftsätze mit dem Ziel ein, die geschlossene Verhandlung wiederzueröffnen. Nur auf diese Weise kann es gelingen, die Schranke des § 296a zu durchbrechen, der der Berücksichtigungsfähigkeit von Angriffs- und Verteidigungsmitteln nach Schluss der mündlichen Verhandlung entgegensteht. Die Vorschrift korrespondiert zugleich mit §§ 529, 531: Hat das Gericht verfahrensfehlerfrei von einer Wiedereröffnung abgesehen, so kann das in der Instanz nach § 296a ausgeschlossene Vorbringen im Berufungsrechtszug als neues Vorbringen nur unter den Voraussetzungen des § 531 II zugelassen werden (§ 531 Rn 7).
B. Ermessensgebundene Wiedereröffnung.
Rn 2
Die dargestellte Stellung in der Systematik des Verfahrensrechts verbietet es, Wiedereröffnung nach Abs 1 allein deshalb anzuordnen, weil der im nicht nachgelassenen Schriftsatz enthaltene Sachvortrag Entscheidungsrelevanz besitzt. Jedoch ist eine Wiedereröffnung geboten, wenn das Tatsachenvorbringen nach § 531 II Nr 3 Berücksichtigung finden müsste: Es dient letztlich der Konzentration des Verfahrens, wenn der Streit unter Vermeidung eines Rechtsmittels in der eröffneten Instanz erledigt werden kann (vgl BGH NJW 07, 1357, 1360 [BGH 11.01.2007 - IX ZR 31/05]: eine Wiedereröffnung ist nicht geboten, wenn das verspätete Vorbringen allein auf Nachlässigkeit beruht). Eine durch Zeitablauf innerhalb der Spruchfrist eingetretene Änderung der materiellen Rechtslage – zu denken ist etwa an den Ablauf einer Kündigungsfrist – zwingt nicht zur Wiedereröffnung: Es ist nicht interessenwidrig, wenn der Kl den prozessualen Nachteil aus der zu früh erhobenen Klage trägt. Ebenso wenig ist das Gericht zur Wiedereröffnung gezwungen, wenn die Fälligkeitsvoraussetzungen eines Anspruchs erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung geschaffen werden. Auch im Fall einer neuen Antragstellung oder der Erhebung einer Widerklage steht die Wiedereröffnung im Ermessen des Gerichts: Bei Entscheidungsreife kann unter Beachtung der Vorgaben des § 145 (vgl § 145 Rn 8) unter gleichzeitiger Abtrennung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung anhängigen Streitgegenstands instanzbeendend entschieden werden. Eine Wiedereröffnung kann geboten sein, wenn sich eine Partei in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz unter Vorlage eines Privatgutachtens mit dem Ergebnis eines in der mündlichen Verhandlung erstatteten Gutachtens auseinandersetzt (regelmäßige Pflicht zur Wiedereröffnung insb im Arzthaftungsprozess, BGH NJW 01, 2796; einschränkend bei Verstoß gegen Prozessförderungspflicht: Schlesw DAR 18, 150). Die Wiedereröffnung zum Zwecke der vergleichsweisen Erledigung des Rechtsstreits ist im Regelfall nicht sachgerecht, sofern die Anregung zum Vergleichsgespräch nur einseitig vorgetragen wird. Beantragen indessen die Parteien einvernehmlich, den Verkündungstermin aufzuheben, weil sie ernsthafte Vergleichsgespräche führen, kommt eine Wiedereröffnung in Betracht. Zumindest ist den Parteien durch Verlegung des Verkündungstermins (§ 227 I) Gelegenheit zu geben, sich über den Erfolg ihrer Vergleichsbemühungen zu erklären, um ggf auch die Option zu nutzen, nach § 251 das Ruhen des Verfahrens zu beantragen (vgl BGH MDR 20, 282 [BGH 13.12.2019 - V ZR 152/18]).
C. Zwingende Wiedereröffnung nach Abs 2.
Rn 3
Die Vorschrift formuliert in Abs 2 Gründe, die zur Wiedereröffnung zwingen. Nr 1 ist Ausfluss des mit dem Zivilprozessreformgesetz verfolgten Zwecks, durch Vermeidung von Rechtsmitteln das Verfahren erstinstanzlich zu beenden. Eine geschlossene Verhandlung ist insb dann nach Nr 1 wiederzueröffnen, wenn das Gericht erstmals im Termin einen rechtlichen Hinweis erteilt, zu dem sich die Partei nicht rechtzeitig äußern kann, und das Gericht davon abgesehen hat, auf einen Schriftsatznachlass hinzuwirken (BGH GRUR 10, 1117 [BGH 31.03.2010 - I ZR 34/08]). Wird in einem nachgelassenen Schriftsatz neuer entscheidungserheblicher Tatsachenvortrag gehalten, muss das Gericht die geschlossene Verhandlung wiedereröffnen, um dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren (BGH MDR 20, 151, 364 [BGH 27.08.2019 - VI ZB 32/18]; 11, 1313),
D. Verfahren und Rechtsmittel.
Rn 4
Die geschlossene Verhandlung muss nicht ausdrücklich wiedereröffnet werden. Es genügt, wenn das Gericht im vorgesehenen Verkündungstermin etwa in den Fällen des Abs 2 Nr 1 die unterlassenen Hinweise oder Aufklärung in einem Beschl erteilt. D...