Dr. iur. Nina Franziska Marx
Gesetzestext
(1) Zustellung ist die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in diesem Titel bestimmten Form.
(2) Dokumente, deren Zustellung vorgeschrieben oder vom Gericht angeordnet ist, sind von Amts wegen zuzustellen, soweit nicht anderes bestimmt ist.
A. Allgemeines.
I. Zustellungsreformgesetz.
Rn 1
Mit Wirkung zum 1.7.02 ist das Zustellungsrecht grdl reformiert worden. Übergangsvorschriften sind nicht vorgesehen worden. Die Reform diente insb der Rechtsvereinfachung und einer rechtswegübergreifenden Vereinheitlichung; außerdem trägt sie den Möglichkeiten der Informationstechnologie Rechnung.
II. Systematik.
Rn 2
§§ 166–190 regeln den gesetzlichen Regelfall der Zustellung vAw (s Abs 2). Diese Vorschriften gelten auch für die Zustellung auf Betreiben einer Partei, soweit in den §§ 191–195 nicht etwas anderes ausdrücklich vorgeschrieben ist. Ist eine Zustellung vAw vorgesehen, so ist eine Zustellung im Parteibetrieb unheilbar unwirksam (BGH MDR 10, 885; BGHZ 188, 128 Rz 41 = NJW 11, 1965, 1968), mit Ausnahme des Falls einer Zustellung nach § 195 I 2 (Zö/Schultzky § 166 Rz 7). Ebenso unheilbar unwirksam ist die Amtszustellung bei gebotener Parteizustellung (Ddorf MDR 10, 652, 653 [OLG Düsseldorf 10.02.2010 - I-15 U 276/09]; Zö/Schultzky aaO). Welche Dokumente zuzustellen sind, ist in §§ 166 ff nicht geregelt; dies bestimmt sich nach den Vorschriften des Verfahrensrechts. Der Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften macht die Zustellung unwirksam (zum früheren Recht s RGZ 124, 22, 24; BGHZ 8, 314, 316; 30, 299, 303 = NJW 59, 1871). Zustellungsmängel können allerdings nach § 189 und nach § 295 geheilt werden (umfassend zur Heilung s § 189 Rn 1 ff). Hinsichtlich der Besonderheiten für die Zustellung zum Zweck der Zwangsvollstreckung s die Kommentierung zu § 750. Für Zustellungen innerhalb der EU gelten die §§ 1067–1069.
III. Begriffe.
Rn 3
Die Zustellung ist in Abs 1 legal definiert (BGHZ 188, 128 Rz 29). Zum erforderlichen Zustellungswillen (Zustellungsabsicht) s.u. Rn 7. Zusteller ist, wer die Zustellung ausführt (§ 182 II Nr 8). Zustellungsveranlasser oder -betreiber ist, in wessen Auftrag zugestellt wird (vgl § 193 I 1; § 193 Rn 2). Zustellungsadressat ist die Person, an die die Zustellung erfolgen soll (§ 182 II Nr 1). Das ist die prozessfähige Person, der gesetzliche Vertreter der prozessunfähigen Person (§ 170 I 1), bei nicht natürlichen Personen deren Leiter (§ 170 II) oder im gerichtlichen Verfahren stets der ProzBev (§ 172). Ein Bevollmächtigter iSd § 171 ist dagegen nicht Zustellungsadressat (St/J/Roth § 171 Rz 1; s.a. Ddorf NJW 10, 3729 [OLG Düsseldorf 25.03.2010 - I-5 U 89/09]). Die Person, der das Schriftstück tatsächlich übergeben wird, ist der Zustellungsempfänger (§ 182 II Nr 2). Dies ist der Zustellungsadressat, der Vertreter gem § 171 und in den Fällen des § 178 die Ersatzperson.
IV. Zustellung an Soldaten.
Rn 4
Zur Zustellung an Soldaten der Bundeswehr s den Erlass des Bundesministers der Verteidigung v 23.7.98 (VMBl 98, 246), zuletzt geändert durch Erlass v 14.6.04 (VMBl 04, 109). Zur Zustellung an Angehörige der NATO-Streitkräfte s Art 32 Nato-Truppenstatut-Zusatzabkommen sowie Zö/Schultzky § 166 Rz 6 mN (unter Bezug auf BGH VersR 17, 1208: Amtspflicht); zum Zweck dieser Bestimmung und zur Amtshaftung bei Nichtbeachtung s BGHZ 211, 171 Rz 13 ff = NVwZ 17, 251, 252 ff.
B. Normzweck.
Rn 5
Die Zustellung dient dem Nachweis, dass und wann das zuzustellende Schriftstück dem Empfänger zugegangen ist. Sie soll dem Adressaten ggü gewährleisten, dass er Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einrichten kann. Insoweit dient die Zustellung der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs (BVerfGE 67, 208, 211 = NJW 84, 2567, 2568 [BVerfG 11.07.1984 - 1 BvR 1269/83]). Eine Zustellung kommt va dann in Betracht, wenn die Bekanntgabe Rechtsfolgen herbeiführt, insb Rechte des Empfängers begründet (zB empfangsbedürftige Willenserklärung, s § 132 BGB). Besondere Bedeutung hat die Zustellung in gerichtlichen Verfahren: Durch die Zustellung der Klageschrift wird die Klage rechtshängig (§ 253 I iVm § 261 I); die Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung kann Wirksamkeitsvoraussetzung (Ersetzung der Urteilsverkündung gem § 310 III) oder für die Bestandskraft von Bedeutung sein (Zustellung verkündeter Urteile, § 317 I, oder von Beschlüssen, § 329 II 2, III). Eine formlose Mitteilung genügt, wenn diese lediglich zur Information des Adressaten erfolgt, durch sie aber nicht unmittelbar Rechte, Pflichten oder sonstige Wirkungen begründet werden sollen (vgl zB § 73 S 2 Alt 2, § 104 I 4, § 141 II 2, § 251a II 3, § 270 S 1, § 329 II 1, § 377 I 2).
C. Zustellung.
I. Voraussetzungen.
1. Anordnung.
Rn 6
Die Zustellung muss gesetzlich vorgeschrieben (vgl zB §§ 253 I, 317 I 1, 693 I) oder durch Verfügung des Richters oder Rechtspflegers nach pflichtgemäßem Ermessen angeordnet sein (vgl Abs 2). In diesem Fall beweist die Zustellung die erforderliche Mitteilung, die allerdings auch formlos hätte erfolgen können (vgl Rn 5). Der Urkundsbeamte ist an die Anordnung des Richters oder Rechtspflegers gebunden (BGH NJW 93, 1213, 12...