Dr. iur. Nina Franziska Marx
Rn 9
Die Zustellung muss ›demnächst‹ erfolgen. Dadurch ist kein starrer zeitlicher Rahmen vorgegeben, sondern es ist eine Abwägung erforderlich, für die maßgeblich ist, ob der Zustellungsbetreiber alles ihm Zumutbare für eine alsbaldige Zustellung getan hat und ob der Rückwirkung keine schützenswerten Belange des Zustellungsempfängers entgegenstehen (BGH NJW 99, 3125 [BGH 27.05.1999 - VII ZR 24/98]; MDR 15, 1284 [BGH 10.09.2015 - IX ZR 255/14] Rz 15).
Danach ist zu differenzieren:
Rn 10
Versäumnisse des Zustellungsbetreibers, die ohne Auswirkung auf die Dauer des Zustellungsverfahrens geblieben sind, sind unbeachtlich (BGH NJW-RR 03, 599). Es gibt keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Zustellung nicht mehr als demnächst anzusehen ist. Dies kann in einem Zustellverfahren auch dann gelten, wenn es zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt. Denn Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, muss sich eine Partei grds nicht zurechnen lassen. Einer Partei sind solche nicht nur geringfügigen Verzögerungen zurechenbar, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter bei sachgerechter Prozessführung hätte vermeiden können (BVerfG NJW 12, 2869 Rz 2 ff; BGH NZG 20, 70 Rz 23; BGHZ 168, 306 = NJW 06, 3206 Rz 16 ff). Hat ein Versäumnis des Zustellungsbetreibers zu einer Verzögerung der Zustellung geführt, so ist das Merkmal ›demnächst‹ regelmäßig nur erfüllt, wenn die Verzögerung gerechnet vom Tag des Ablaufs der Frist nicht über 14 Tage hinaus reicht (BGH NZG 20, 238 [BGH 10.12.2019 - II ZR 281/18] Rz 8; MDR 18, 177 [BGH 29.09.2017 - V ZR 103/16] Rz 5 f; NJW-RR 18, 970 = NZM 18, 797 [BGH 20.04.2018 - V ZR 202/16] Rz 36; NJW 16, 568 [BGH 25.09.2015 - V ZR 203/14] Rz 9; NJW-RR 16, 650 Rz 10). Bei Zweifeln kann es erforderlich sein, bereits vor Klageerhebung Nachforschungen (zB über die zutreffende Anschrift) anzustellen (BGH MDR 15, 1284 Rz 18 f; Ddorf FamRZ 98, 1456). Ein Versäumnis liegt nicht allein darin, dass der Kl nicht nachfragt, warum eine vom Gericht zu veranlassende Zustellung noch nicht erfolgt ist (BGH NJW 05, 1194, 1195; BGHZ 168, 306, 310 ff = NJW 06, 3206; vgl auch BVerfG NJW 12, 2869; aA BGH NJW-RR 06, 1436). Ein Verschulden des Zustellungsbetreibers liegt auch nicht darin, dass dieser darauf vertraut, dass ein Gericht einen falsch adressierten Schriftsatz an das zuständige Gericht im ordentlichen Geschäftsgang weiterleitet (BGH MDR 07, 1276). Etwas anderes gilt dann, wenn er einen Irrtum des Gerichts erkennt, etwa dass das Gericht eine unbedingt erhobene Klage als PKH-Antrag behandelt (BGH NJW 10, 73 [BGH 17.09.2009 - IX ZR 74/08]), und gleichwohl untätig bleibt (vgl aber auch BGH WM 14, 2314 [BGH 05.11.2014 - III ZR 559/13] Rz 16: grds keine Nachfragepflicht bei gemeinsamer Einreichung von unbedingt erhobener Klage und PKH-Antrag).
Rn 11
Für das Mahnverfahren sieht § 691 II vor, dass der Zustellungsadressat eine Rückwirkung auch dann noch hinnehmen muss, wenn der fristgerecht gestellte Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids wegen formaler Mängel zurückgewiesen und dann innerhalb eines Monats Klage erhoben und diese demnächst zugestellt worden ist. Der BGH hat diese Wertung auf alle Mängel, die der Zustellung eines Mahnbescheids entgegenstehen, übertragen (BGHZ 150, 221, 225 f = NJW 02, 2794). Hier hindert eine vom Zustellungsbetreiber zu vertretende Verzögerung von bis zu einem Monat die Rückwirkung also nicht (BAG NZA 15, 1259 Rz 46). Diese Privilegierung des Zustellungsbetreibers ist allerdings auf das Mahnverfahren und dort auf Verzögerungen vor Zustellung des Mahnbescheids beschränkt (BGHZ 175, 360 Rz 12).
Rn 12
Dem Adressaten zuzurechnende Verzögerungen (zB falsche Adressangabe, Wohnungswechsel, Inhaftierung) stehen der Rückwirkung nicht entgegen (BGH NJW 88, 411, 413 [BGH 15.06.1987 - II ZR 261/86]; 93, 2614, 2615 [BGH 22.06.1993 - VI ZR 190/92]). Der Zustellungsbetreiber muss jedoch innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens die möglichen Maßnahmen ergreifen, zB indem er eine öffentliche Zustellung beantragt. Verzögerungen, die ihre Ursache im Geschäftsbetrieb des Gerichts haben, sind grds unbeachtlich (BGH NJW-RR 03, 559; BGHZ 168, 306 Rz 16 ff = NJW 06, 3206: keine zeitliche Begrenzung; ebenso BGH WM 09, 2032 Rz 15, wo es um eine Verzögerung von mehr als einem Jahr ging). Ist die Verzögerung sowohl vom Gericht als auch vom Zustellungsbetreiber verursacht, sind die vom Gericht zu vertretenden Verzögerungen nicht anzurechnen (BGH NJW 00, 2282; krit Schuschke EWiR 00, 1077). Die Belange des Zustellungsempfängers treten bei dieser Rspr ganz in den Hintergrund, obwohl der Zustellungsbetreiber ggf Amtshaftungsansprüche wegen der verzögerten Zustellung geltend machen kann (vgl BGH VersR 83, 831 = MDR 84, 124).
Rn 13
Bei Verzögerungen, die weder auf Versäumnissen des Zustellungsbetreibers noch des Gerichts, sondern auf den Besonderheiten des Zustellungsverfahrens beruhen (insb bei Auslandszustellungen), kann eine Zustellung nach mehr...