Dr. iur. Nina Franziska Marx
Gesetzestext
(1) 1Sind die Parteien durch Anwälte vertreten, so kann ein Dokument auch dadurch zugestellt werden, dass der zustellende Anwalt das Dokument dem anderen Anwalt übermittelt (Zustellung von Anwalt zu Anwalt). 2Auch Schriftsätze, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes vom [richtig: von] Amts wegen zugestellt werden, können stattdessen von Anwalt zu Anwalt zugestellt werden, wenn nicht gleichzeitig dem Gegner eine gerichtliche Anordnung mitzuteilen ist. 3In dem Schriftsatz soll die Erklärung enthalten sein, dass von Anwalt zu Anwalt zugestellt werde. 4Die Zustellung ist dem Gericht, sofern dies für die zu treffende Entscheidung erforderlich ist, nachzuweisen. 5Für die Zustellung an einen Anwalt gilt § 174 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, 3 entsprechend.
(2) 1Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift versehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts, dem zugestellt worden ist. 2§ 174 Abs. 4 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. 3Der Anwalt, der zustellt, hat dem anderen Anwalt auf Verlangen eine Bescheinigung über die Zustellung zu erteilen.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 195 vereinfacht das Verfahren, indem es die unmittelbare Zustellung von RA zu RA ermöglicht. Nach der Rspr des BGH verpflichtet § 195 den Anwalt, an den zugestellt werden soll, allerdings nicht zu einer Mitwirkung an der Zustellung; er empfängt die zugestellte Urkunde vielmehr nur als Vertreter seiner Partei und ist nicht gehindert, die Annahme der Urkunde und die Ausstellung des Empfangsbekenntnisses zu verweigern, ohne dass hieran prozessuale Nachteile geknüpft wären (BGH NJW 15, 3672 [BGH 26.10.2015 - AnwSt (R) 4/15] Rz 13).
Die Zustellung nach § 195 entfaltet alle Zustellungswirkungen, kann also auch die Rechtshängigkeit einer Widerklage oder einer Klageänderung bzw Klageerweiterung begründen.
B. Tatbestandsvoraussetzungen.
I. Anwendungsbereich.
Rn 2
Die Zustellung von RA zu RA ist immer möglich bei Parteizustellungen, kann aber auch eine Amtszustellung ersetzen, wenn nicht zugleich eine gerichtliche Anordnung zuzustellen ist (Abs 1 S 2). Wichtigster Anwendungsfall ist die Zustellung von Schriftsätzen im laufenden Prozess, auch wenn diese eine Klageänderung/-erweiterung oder die Erhebung einer Widerklage enthalten. Die Klageschrift kann dagegen nicht nach § 195 zugestellt werden (arg § 253 V 1), ebenso Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschriften. Eine Zustellung nach § 195 genügt auch zur Einleitung der Zwangsvollstreckung gem § 750 II. Rechtsmittel- oder Einspruchsfristen können durch eine Zustellung nach § 195 allerdings nicht in Gang gesetzt werden. Willenserklärungen nach § 132 BGB können nach allg Meinung nur durch den GV zugestellt werden. Zur Prozessbürgschaft s § 108 Rn 12. Eine Zustellung nach § 195 ist nicht zwingend (Abs 1 S 1: ›kann … auch‹); der RA kann auch den GV nach § 192 beauftragen. Daneben ist weiter eine Mitteilung nach § 135 möglich.
II. Vertretung durch RA.
Rn 3
Zustellungsveranlasser und -adressat (vgl § 166 Rn 3) müssen durch einen RA (oder eine ihm gleichgestellte Person, zB Abwickler) vertreten sein. Für das Erlöschen einer bestehenden Vollmacht gilt § 87, für die Überprüfung § 88. Eine unmittelbare Zustellung an die anderen in § 174 genannten Personen (s dort Rn 1) ist nicht möglich.
III. Ausführung.
Rn 4
Das zuzustellende Schriftstück ist zu übermitteln. Dies kann auch gem § 174 II 1 durch Telekopie oder gem § 174 III 1, 3 als elektronisches Dokument geschehen. Eine Abschrift muss beglaubigt sein (vgl § 169 Rn 3 f). Die Übermittlung muss zum Zweck und mit dem Willen der Zustellung geschehen. Der Zustellungswille kommt in dem Zustellungshinweis (zB ›Ich stelle selbst zu‹) zum Ausdruck, den das Schriftstück gem Abs 1 S 3 enthalten soll. Dieser ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung; erforderlich ist nur, dass der Zustellungswille erkennbar geäußert worden ist. Hierfür genügt auch die Übersendung eines vorbereiteten Empfangsbekenntnisses oder die Bitte um Rücksendung eines solchen. Die Erklärung ›Gegner hat Abschrift‹ lässt dagegen (eher) auf eine formlose Übersendung ohne Zustellungswillen schließen.
IV. Entgegennahme.
Rn 5
Der empfangende RA muss zum Empfang des Schriftstücks als zugestellt bereit sein. Das setzt voraus, dass er die Zustellungsabsicht kennt (BGH NJW 81, 462 [BGH 29.10.1980 - IVb ZR 599/80] zu § 212 aF). Unterzeichnet er das Empfangsbekenntnis (s Rn 6), kann vermutet werden, dass er das Schriftstück empfangen und als zugestellt angenommen hat. Im Übrigen gilt das zu § 174 Rn 2 Gesagte. Weigert sich der RA, an der Zustellung mitzuwirken, so ist dies verfahrensrechtlich möglich, wenn auch ggf standeswidrig (nach BGH NJW 15, 3672 [BGH 26.10.2015 - AnwSt (R) 4/15] Rz 6 ff soll die Verweigerung der Ausstellung eines EB allerdings nicht standesrechtswidrig sein; so auch Hambg RPfleger 17, 657; s zu den möglichen Folgen für die Wahrung der Vollziehungsfrist nach § 929 II: Karlsr, NJW-RR 16, 821 [OLG Karlsruhe 23.03.2016 - 6 U 38/16]). Dann bleibt nur die Zustellung nach § 191 oder – soweit dies möglich ist (vgl Rn 2) – die Amtszustellung.
V. Empfangsbekenntnis.
Rn 6
Dieses dient nicht nur dem Nachweis der Zustellung (Abs 2 S 1), sondern i...