Gesetzestext
Das Gericht, bei dem Gemeinden, Korporationen, Gesellschaften, Genossenschaften oder andere Vereine den allgemeinen Gerichtsstand haben, ist für die Klagen zuständig, die von ihnen oder von dem Insolvenzverwalter gegen die Mitglieder als solche oder von den Mitgliedern in dieser Eigenschaft gegeneinander erhoben werden.
A. Normzweck und dogmatische Einordnung.
Rn 1
§ 22 normiert einen besonderen Gerichtsstand zu dem Zweck, Streitigkeiten, die die internen Rechtsbeziehungen einer Gesellschaft betreffen, am Sitz der Gesellschaft zu konzentrieren (BGH NJW 80, 1470, 1471 [BGH 13.03.1980 - II ZR 258/78]).
B. Tatbestandsmerkmale.
I. Anwendbarkeit, Internationale Zuständigkeit.
Rn 2
Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO oder sonstiger spezieller international-zivilprozessrechtlicher Normen indiziert § 22 die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte (Naumbg NZG 00, 1218, 1219). Im Anwendungsbereich der EuGVVO kann die internationale Zuständigkeit dagegen nicht aus § 22 hergeleitet werden (noch zur EuGVVO aF Naumbg NZG 00, 1218, 1219): Für bestimmte gesellschaftsrechtliche Rechtsstreitigkeiten ist eine spezielle Regelung für einen ausschließlichen Gerichtsstand in Art 22 Nr 2 EuGVVO (bzw in der seit dem 10.1.15 geltenden Fassung: Art 24 Nr 2 EuGVVO) getroffen, in den übrigen Fällen verbleibt es bei der Grundnorm des Art 2 I EuGVVO (bzw in der seit dem 10.1.15 geltenden Fassung: Art 4 I EuGVVO: Naumbg NZG 00, 1218, 1219f).
II. Rechtsfähige Personenvereinigung.
Rn 3
§ 22 gilt für alle unter § 17 fallenden rechtsfähigen Personenvereinigungen (Köln NJW 04, 862), von denen einige im Gesetzestext beispielhaft erwähnt werden. Zu diesen parteifähigen Personenvereinigungen gehört auch die BGB-Außengesellschaft, so dass § 22 bspw bei Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis oder einer Rechtsanwaltssozietät eingreift (Köln NJW 04, 862 [OLG Köln 28.05.2003 - 5 W 54/03]; LG Bonn NJW-RR 02, 1399, 1400 [LG Bonn 20.02.2002 - 2 O 111/01]). Die Größe der Vereinigung spielt für die Anwendbarkeit der Vorschrift keine Rolle. Demnach lehnt die neuere Rspr frühere Judikate, die aus rechtspolitischen Gründen von einer Anwendung des § 22 auf mitgliederstarke ›Massenvereine‹ absehen wollten (vgl zB LG Frankfurt NJW 77, 538, 539 [LG Frankfurt am Main 22.11.1976 - 2/24 S 86/76]), zu Recht als unzulässige Rechtsfortbildung ab, da die Problematik bereits im Gesetzgebungsverfahren erkennbar war, ohne dass der Gesetzgeber den Gesetzeswortlaut eingeschränkt hat (BGH NJW 80, 343).
III. Klagen, die von ihnen oder von dem Insolvenzverwalter gegen die Mitglieder als solche erhoben werden.
Rn 4
Aus der Formulierung, dass die Klage gegen das Mitglied ›als solches‹ erhoben worden sein muss, folgt, dass es nicht genügt, dass zwischen den Parteien ein Mitgliedschaftsverhältnis bestand oder besteht. Vielmehr muss mit der Klage ein Anspruch verfolgt werden, der sich unmittelbar aus der Mitgliedschaft in der Personenvereinigung und nicht etwa aus einer vom Bestehen eines Gesellschaftsvertrages unabhängigen Rechtsgrundlage (wie zB gesonderter Vertrag, Delikt) ableitet (München ZIP 06, 2402, 2403; Zö/Schultzky § 22 Rz 6). Die streitentscheidende Norm muss demnach gesellschaftsvertraglicher Art sein. Deshalb fallen unter § 22 sowohl Ansprüche aus dem Stadium der Begründung des Gesellschaftsverhältnisses als auch solche aus der Abwicklung desselben (Köln NJW 04, 862), so dass es für das Eingreifen des § 22 nicht darauf ankommt, ob die Mitgliedschaft im Zeitpunkt der Klageerhebung noch besteht, sofern mit der Klage iRd Auseinandersetzung gesellschaftsvertragliche Ansprüche geltend gemacht werden (Köln NJW 04, 862). Ferner spielt es für die Einschlägigkeit des § 22 keine Rolle, ob die (ggf frühere) Mitgliedschaft unstr oder bewiesen ist (MüKoZPO/Patzina § 22 Rz 6; aA AG Ebersberg MDR 87, 146, 147 [AG Ebersberg 27.08.1986 - 1 C 479/86]), da es sich hierbei um eine doppelrelevante Tatsache handelt, deren Vorliegen iRd Zulässigkeitsprüfung fingiert wird. Typische Bsp für unter § 22 fallende Klagen der Gesellschaft gegen Mitglieder sind Klagen auf Zahlung von Beiträgen oder Prämien (BGH NJW 80, 343), auf Rückgewähr verbotener Rückzahlungen (§ 31 GmbHG) oder auf Schadensersatz wegen Verletzung gesellschaftsvertraglicher Pflichten. Auch bei einem Rechtsstreit um die Wirksamkeit eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen GmbH und beherrschendem Gesellschafter ist der besondere Gerichtsstand des ZPO § 22 gegeben (LG Bochum Urt v 20.5.86 – 12 O 67/86 – juris), ebenso bei Streitigkeiten unter Mitgliedern einer Rechtsanwaltssozietät (GbR) (Köln Beschl v 28.5.03 – 5 W 54/03 – juris). Demgegenüber sind Klagen aus einer unerlaubten Handlung des Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds, auch wenn diese Personen Gesellschaftsmitglieder sind (MK/Patzina Rz 7), aus organschaftlicher Sonderbeziehung (Organhaftung) oder gegen einen persönlich haftenden Gesellschafter auf Haftung für eine Gesellschaftsschuld gem § 128 HGB (Zö/Schultzky § 22 Rz 6) nicht erfasst. Ebenso wenig greift § 22 ZPO bei der Klage eines Treuhandgesellschafters gegen den Treugeber auf Freistellung von seiner Haftung aus § 128 HGB ggü einem Gesellschaftsgläubiger ein, da der Freistellungsanspruch aus dem Treuhandv...