Gesetzestext
(1) Der Termin beginnt mit dem Aufruf der Sache.
(2) Der Termin ist von einer Partei versäumt, wenn sie bis zum Schluss nicht verhandelt.
A. Normzweck.
Rn 1
Der Aufruf der Sache soll den ordnungsgemäßen Beginn jedes Gerichtstermins unter Anwesenheit aller Beteiligten sicherstellen. Durch ihn wird den Beteiligten bekannt gemacht, dass nunmehr in die mündliche Verhandlung eingetreten wird. Termin meint die Gerichtssitzung in einem konkreten einzelnen Verfahren, während sich die Sitzung des Gerichts an einem bestimmten Sitzungstag regelmäßig über mehrere einzelne Verfahren erstreckt. Hiervon zu unterscheiden ist der Begriff der mündlichen Verhandlung, die mit der Antragstellung beginnt (§ 137 I) und mit der Schließung durch den Vorsitzenden gem § 136 IV endet. Bei dem vom Vorsitzenden zu veranlassenden Aufruf der Sache handelt es sich um eine – durch Art 103 I GG gebotene – wesentliche Förmlichkeit, die den ordnungsgemäßen Beginn jedes Gerichtstermins unter Anwesenheit aller Beteiligten gewährleisten soll. Sie verpflichtet das Gericht ggü den anwesenden Parteien und Beteiligten, sie effektiv in die Lage zu versetzen, den Termin auch wahrzunehmen (BVerfGE 42, 364 [BVerfG 05.10.1976 - 2 BvR 558/75]).
B. Einzelheiten.
Rn 2
Ein förmlicher Aufruf ist – wenngleich wünschenswert – nicht in jedem Fall geboten. Es ist ausreichend, wenn nach den gesamten Umständen erkennbar von einem Beginn des Termins auszugehen ist (BGH MDR 11, 74 [BGH 12.10.2010 - VIII ZB 16/10]). Dies ist etwa der Fall, wenn alle Beteiligten anwesend sind und das Gericht in die Sach- und Rechtslage einführt. Ein Aushang, wonach die Parteien ohne Aufforderung den Sitzungssaal zu betreten haben, ist nicht ausreichend (LG Hamburg NJW 77, 1459; Musielak/Voit/Stadler Rz 2). Grds hat der Aufruf hörbar im Sitzungssaal und den räumlichen Bereich zu erfolgen, in dem die Beteiligten üblicherweise auf den Termin warten. Er muss im zeitlichen Zusammenhang mit der Terminsstunde stehen und darf nicht vor der festgesetzten Terminsstunde erfolgen (KG NJW 87, 1338, 1339). Der Aufruf kann durch den Vorsitzenden delegiert werden, etwa dem Wachtmeister oder einen Referendar (BeckOK ZPO/Jaspersen Rz 2; Musielak/Voit/Stadler Rz 2; Saenger/Wöstmann Rz 1). Der Aufruf muss inhaltlich so klar sein, dass auch eine nicht gerichtserfahrene Partei erkennen kann, dass das sie betreffende Verfahren gemeint ist (St/J/Roth Rz 4; Musielak/Voit/Stadler Rz 2). Besondere Umsicht des Gerichts ist bei tw immer noch üblichen so genannten Sammelterminen geboten, bei denen bis zu 20 Sachen auf dieselbe Terminsstunde angesetzt werden. Diese fragwürdige Praxis ist besonders im Parteiprozess unangebracht, weil die nicht rechtskundige und mit dieser Verfahrensweise regelmäßig nicht vertraute Partei dadurch verunsichert werden kann. Ein Sammelaufruf zu Beginn der Terminsstunde genügt keinesfalls. Ein nochmaliger Aufruf vor Erlass eines Versäumnisurteils nach Ablauf der regelmäßig einzuhaltenden 15-minütigen Wartefrist ist üblich und sinnvoll. Als wesentliche Förmlichkeit ist der Aufruf der Sache zu protokollieren.
Rn 3
Fehlt es an einem ordnungsgemäßen Aufruf, stellt dies einen nach § 295 I heilbaren Verfahrensfehler dar. Ein verfrühter Aufruf bleibt folgenlos, wenn die Säumnis der Partei in dem Termin nicht auf diesen beruht (KG NJW 87, 1338, 1339; BeckOKZPO/Jaspersen Rz 2). IÜ kann das rechtliche Gehör einer Partei verletzt sein, wenn die Sache nicht oder nicht ordnungsgemäß aufgerufen worden ist und sie deshalb an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hat (vgl BSG, Beschl v 16.12.2014 – B 9 SB 56/14 B, juris Rz 9; VGH Bayern, Beschl v 8.4.19 – 8 ZB 18.32811, juris Rz 35).
C. Säumnis.
Rn 4
Abs 2 stellt zum Schutz des Säumigen klar, dass er noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 136 IV) die Möglichkeit hat zu verhandeln und damit den Erlass eines Versäumnisurteils abzuwenden (BGH NJW 93, 861, 862 [BGH 15.12.1992 - VI ZR 85/92]); versäumt ist der Termin mithin erst, wenn die Partei bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht (zum unvollständigen Verhandeln vgl § 334) verhandelt. Erscheint die Partei erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung, aber vor Verkündung eines Versäumnisurteils, ändert das an der Säumnis nichts mehr; es stellt sich allenfalls die Frage, ob die Voraussetzungen für den Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung (§ 156) vorliegen, was bei unverschuldeter Säumnis in Betracht kommt. Erscheint die Partei erst nach Verkündung des Versäumnisurteils, spielt es zunächst keine Rolle, ob die Säumnis unverschuldet war; der ›säumigen Partei‹ bleibt nur der Weg, gegen das Versäumnisurteil Einspruch einzulegen. Falls der Gegner noch anwesend ist, kann die Verhandlung (über den Einspruch und zur Hauptsache) im Prinzip sofort fortgesetzt werden. Ein Anspruch auf sofortige Verhandlungsfortsetzung besteht allerdings nicht (St/J/Roth Rz 12). Zur unzulässigen Terminierung der Verhandlung ›für den Fall des Einspruchs‹ vgl § 216 Rz 5 aE.