Rn 6

Für andere Fälle der Versäumung prozessualer Fristen (etwa: Antrag auf Tatbestandsberichtigung oder Urteilsergänzung, vgl BGH NJW 60, 866 [BGH 25.01.1960 - II ZR 22/59] und 80, 785f [BGH 23.01.1980 - IV ZR 217/79]) kommt Wiedereinsetzung (auch im Wege analoger Anwendung) nicht in Betracht; dem steht die bewusste Beschränkung des § 233 auf die darin ausdrücklich genannten Fristen entgegen (MüKoZPO/Stackmann Rz 18). Keine Anwendung auf die Versäumung der Frist zum Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs (hM: BGHZ 61, 394, 396; BGH, NJW 95, 521 f, Zö/Greger Rz 7; MüKoZPO/Stackmann Rz 23; Musielak/Grandel Rz 1; dagegen mit beachtlichen Gründen und der erwägenswerten Empfehlung, die Anwendbarkeit der §§ 233 ff im Vergleich zu vereinbaren St/J/Roth Rz 12 mwN). Unanwendbar bei materiellen Ausschlussfristen, zB für die Anfechtungsklage nach § 246 I AktG (St/J/Roth Rz 11 mit weiteren Beispielen; Saenger Rz 4), desgleichen nicht bei Versäumung der Anmeldefrist in Gesamtvollstreckungsverfahren (BGH NZI 07, 411 [BGH 08.03.2007 - IX ZB 113/05]). Für eine nachträgliche inhaltliche Ergänzung einer an sich fristgerecht eingereichten Rechtsmittelbegründung ist keine Wiedereinsetzung zu gewähren (BGH MDR 18, 608). Ebenfalls keine Wiedereinsetzung bei weisungswidriger Rücknahme eines Rechtsmittels für das dann verspätet eingelegte Rechtsmittel (BGH NJW 07, 3640 [BGH 30.05.2007 - XII ZB 82/06]), oder wenn die erklärte Rücknahme des Rechtsmittels auf einem unverschuldeten Irrtum beruht. In diesen Fällen fehlt es bereits an einer Versäumung der Prozesshandlung, weil das Rechtsmittel zunächst wirksam eingelegt war (BGH NJW 91, 2839). Eine andere Beurteilung kommt nur für die engen Ausnahmefälle in Betracht, in denen ein Widerruf der Rechtsmittelrücknahme möglich ist (zB wenn ein Restitutionsgrund vorliegt und gegen die das Rechtsmittel verwerfende Entscheidung die Restitutionsklage möglich wäre, vgl BGH aaO mwN; in diesen Fällen ist jedoch die Rücknahme unwirksam, so dass es angesichts des wirksam eingelegten Rechtsmittels einer Wiedereinsetzung gar nicht bedarf).

 

Rn 7

Wiedereinsetzung gegen ein Versäumnisurteil? Bei unverschuldeter Säumnis der Partei in dem Verhandlungstermin, in dem Versäumnisurteil erlassen wurde, wird nicht selten zusammen mit dem Einspruch ›Wiedereinsetzung‹ beantragt. Dies ist verfehlt. Für die Terminsversäumung (in Abgrenzung zur Versäumung einer Frist) gelten die Sondervorschriften der §§ 330 ff, deshalb sind die Vorschriften über die Wiedereinsetzung nicht anwendbar (vgl MüKoZPO/Stackmann § 230 Rz 5). Durch den rechtzeitigen Einspruch wird der Prozess ohnehin in die Lage versetzt, in der er sich vor Eintritt der Säumnis befand (§ 342). Ziel eines wegen Erlass eines Versäumnisurteils gestellten Wiedereinsetzungsantrags ist regelmäßig die Vermeidung der Kostenfolge des § 344, wonach die durch die Versäumnis entstandenen Kosten auch dann der säumigen Partei aufzuerlegen sind, wenn sie im weiteren Verfahren nach dem Einspruch in der Sache obsiegt. Diese Frage ist über § 344 zu lösen, denn die dort angeordnete Kostenfolge greift nur ein, wenn das Versäumnisurteil in gesetzlicher Weise ergangen ist. Hieran fehlt es aber bei unverschuldeter Säumnis einer Partei, bei der das Gericht nach § 337 hätte vertagen müssen. Ob die unverschuldete Säumnis für das Gericht bei Erlass des Versäumnisurteils erkennbar war, ist iRd Kostenentscheidung nicht erheblich (BGH NJW 61, 2207 [BGH 05.10.1961 - VII ZR 201/58]).

 

Rn 8

Praxishinweis: bei unverschuldeter Säumnis sollte deshalb nicht Wiedereinsetzung beantragt, sondern darauf hingewiesen werden, dass eine Kostenentscheidung nach § 344 wegen der fehlenden Säumnis nicht in Betracht kommt. Auch im Hinblick auf eine Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil bedarf es der Wiedereinsetzung nicht; da das Versäumnisurteil bei unverschuldeter Säumnis der Partei nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist, ermöglicht § 719 I 2 die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung. Beim Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren besteht allerdings die Besonderheit, dass § 276 I 1 die Frist für die Verteidigungsanzeige ausdrücklich als Notfrist bezeichnet, so dass jedenfalls eine Fristversäumung iSd § 233 vorliegt. Gleichwohl erscheint fraglich, ob in diesen Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis für die Wiedereinsetzung zu bejahen ist; ohnehin darf ein Versäumnisurteil nicht mehr ergehen, wenn die Verteidigungsanzeige zwar verspätet eingeht, aber ein von den Richtern unterschriebenes Versäumnisurteil zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Geschäftsstelle eingegangen ist (§ 276 I 1 Hs 2). Teilweise wird ein Wiedereinsetzungsantrag für die Zeitspanne zwischen Übergabe des Urteils an die Geschäftsstelle und Zustellung für sinnvoll gehalten (MüKoZPO/Stackmann Rz 19; St/J/Leipold § 276 Rz 39). Auch insoweit geht es aber bei der Wiedereinsetzung allein darum, ob die Kostenfolge des § 344 abgewehrt und eine Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung...

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