a) Grundsatz.
Rn 53
Fristen dürfen grds bis zum Ablauf des letzten Tages, also bis 24.00 Uhr ausgeschöpft werden (vgl BGH MDR 18, 1074 f; MDR 05, 469; BVerfGE 69, 381, 385 [BVerfG 14.05.1985 - 1 BvR 370/84]; BVerfG NJW 91, 2076 [BVerfG 07.05.1991 - 2 BvR 215/90]). Allerdings muss der Rechtsmittelführer in diesen Fällen erhöhte Sorgfalt anwenden, um die Einhaltung der Frist sicher zu stellen (BGH NJW 98, 2677 [BGH 23.04.1998 - I ZB 2/98]; 06, 2637 [BGH 09.05.2006 - XI ZB 45/04]). Dies geht aber nicht soweit, dass er sich auch auf unvorhergesehene Umstände einzustellen und diese von vornherein einzukalkulieren hat (keine Funktionstauglichkeitsüberprüfung eines Fax-Gerätes ohne Anlass: BGH 16.11.16 – VII ZB 35/14, juris; ebenso kein Einplanen eines Verkehrsunfalls oder einer Reifenpanne erforderlich). Kam es bereits zu Störungen an der EDV-Anlage, so ist der zur Behebung erforderliche Zeitaufwand grds zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 15, 1196, 1187 [BGH 12.02.2015 - V ZB 75/13]). Der unverzügliche Zugriff auf die benötigte Faxnummer des Empfängers muss sichergestellt sein (BGH NJW 04, 516). Zur Frage, inwieweit auf Faxübertragungszeiten vertraut werden darf, vgl BGH NJW 05, 678 [BGH 25.11.2004 - VII ZR 320/03]. Bei Telefax einer umfangreichen Rechtsmittelschrift an das BVerfG kann es unsorgfältig sein, mit dem Faxen so knapp vorher zu beginnen, dass wegen der zu erwartenden Belegung des Faxanschlusses die Fristwahrung gefährdet ist (BVerfG NJW 06, 1505: danach ist es zu spät, mit der Übermittlung einer 10 Minuten in Anspruch nehmenden Sendung erst um 23.30 Uhr zu beginnen). Ergeben sich bei der Übermittlung des Fax Schwierigkeiten, muss der anwesende Anwalt eingreifen und alle Fehlerquellen (falsche Faxnummer) in Betracht ziehen (BGH NJW-RR 06, 1648 [BGH 02.08.2006 - XII ZB 84/06]). Bloße Zweifel an der Funktionstüchtigkeit des Empfangsgeräts des Gerichts darf er nicht zum Anlass nehmen, nach wenigen gescheiterten Übertragungsversuchen um 20:30 Uhr am Tag des Fristablaufs weder eine Fehlersuche am eigenen Gerät vorzunehmen noch von einem anderen Gerät aus zu faxen oä (BVerfG NJW 06, 829). Scheitert die Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes an der zeitweisen Belegung oder Störung des Telefaxempfangsgeräts des Gerichts, darf der Prozessbevollmächtigte der Partei nicht ohne Weiteres mehrere Stunden vor Ablauf des letzten Tages der Frist zusätzliche Übermittlungsversuche einstellen (BGH MDR 19, 1271 [BGH 20.08.2019 - VIII ZB 19/18] Rz 17; NJW 15, 1027 [BGH 04.11.2014 - II ZB 25/13] Rz 21).
b) Verpflichtung zur ›Kompensation‹.
Rn 54
Bei auftretenden Schwierigkeiten (Faxgerät fällt um 23 Uhr aus oder ist ständig belegt) müssen alle anderen Möglichkeiten erwogen werden, den fristgerechten Eingang des Schriftsatzes noch zu bewerkstelligen (BVerfG NJW 07, 2838 [BVerfG 16.04.2007 - 2 BvR 359/07]). Hierzu gehört auch die Verwendung eines anderen Faxanschlusses des Rechtsmittelgerichts (Celle NJW-RR 06, 1724 [OLG Celle 25.08.2006 - 10 UF 159/06], Saenger Rz 52); bei sofortiger Beschwerde kann wegen § 567 I 1 bei Faxbelegung des Beschwerdegerichts an das Untergericht gefaxt werden und umgekehrt. Ggf muss in Kauf genommen werden, kleinere Korrekturen der Rechtsmittelbegründung handschriftlich einzufügen (BGH NJW-RR 04, 1502 [BGH 23.06.2004 - IV ZB 9/04]). Reicht die Zeit zB noch aus, den Schriftsatz zum 1 km entfernten Gericht zu bringen, muss von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden (OVG Hamburg NJW 00, 1667 [OVG Hamburg 05.11.1999 - 4 Bs 351/99]). Unzumutbare Anforderungen, etwa 60 km Fahrt um 23 Uhr, um die Rechtsmittelschrift persönlich noch rechtzeitig zu überbringen, dürfen aber nicht gestellt werden (BGH NJW-RR 04, 283 [BGH 30.09.2003 - X ZB 48/02]).
c) Sinnvolle Verfahrensweise nach eingetretener Fristversäumung.
Rn 55
Zeichnet sich allerdings ab, dass die Einhaltung der Frist nicht mehr möglich ist, gereicht es dem Anwalt (und seiner Partei) nicht zum Nachteil, wenn er es in der Nacht überhaupt nicht mehr versucht, denn an der Versäumung der Frist kann ein Einwurf nach 24 Uhr nichts mehr ändern, und für die Wiedereinsetzung hat er die Frist von 2 Wochen (bzw von einem Monat in den Fällen des § 234 I 2), die er wiederum ausnutzen darf (vgl BGH NJW 88, 2045, 2046 [BGH 13.01.1988 - IVa ZB 13/87]). Es empfiehlt sich in einem solchen Fall, an einem der nächsten Arbeitstage in Ruhe den vollständigen Wiedereinsetzungsantrag einschließlich der Glaubhaftmachung (vgl § 236 Rn 6) zu erstellen und zusammen mit dem schriftgebundenen Schriftsatz einzureichen.