Rn 14
Ferner kann sich die Rechtzeitigkeit auch aus einem Zustellmangel ergeben, der zur Folge hat, dass die Frist noch gar nicht begonnen hat. Denkbare Fälle: öffentliche Zustellung, obwohl die Voraussetzungen für das bewilligende Gericht erkennbar nicht vorlagen (BGHZ 149, 311); Zustellung an die (im Verfahren als prozessunfähig behandelte) Partei selbst statt an den gesetzlichen Vertreter; Zustellung einer unvollständigen Urteilsausfertigung (jedenfalls bei Fehlen ganzer Seiten, BGHZ 138, 166) oder einer inhaltlich unrichtigen Urteilsausfertigung (aber nicht bei Unrichtigkeiten, die bei der Urteilsabfassung gem § 319 hätten berichtigt werden können, als instruktives Bsp vgl BGH NJW-RR 06, 1570 [BGH 24.05.2006 - IV ZB 47/05]: es kommt darauf an, ob die Partei aus der Ausfertigung wenigstens den Inhalt der Urschrift und va den Umfang ihrer Beschwer und die tragenden Entscheidungsgründe erkennen kann. Die Zustellung einer beglaubigten Urteilsabschrift setzt die Berufungsfrist nicht in Gang; erforderlich ist die Zustellung einer Urteilsausfertigung, d.h. mit Unterschrift des Urkundsbeamten, Dienstsiegel oder -stempel und Bezeichnung als Ausfertigung (BGH NJW 10, 2519 [BGH 09.06.2010 - XII ZB 132/09]). Zu einem fehlenden Zustellungswillen des Gerichts vgl BGH NJW-RR 17, 1086 [BGH 04.07.2017 - VIII ZB 85/16]. Fehlt auf einer Zustellungsurkunde die erforderliche Unterschrift des Zustellers, kann diese nachgeholt werden; die entsprechend ergänzte Urkunde ist nach § 419 frei zu würdigen (BGH NJW-RR 08, 218, 219 [BGH 19.07.2007 - I ZR 136/05]).
Rn 15
Lässt sich die ordnungsgemäße Zustellung einer Entscheidung nicht zweifelsfrei feststellen, kann die daran anknüpfende Prozesshandlung (Rechtsmitteleinlegung) regelmäßig nicht versäumt sein. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist in jedem Fall mit Ablauf von 5 Monaten ab Verkündung des Urteils beginnen, also unabhängig von der Wirksamkeit einer Zustellung, §§ 517 und § 520 II, ebenso für die Revision §§ 548 und 551 II 3. Hat der Anwalt Kenntnis von einem Verkündungstermin, erhält er jedoch keine Zustellung, ist er im Hinblick auf diese Regelung gehalten, sich nach der Entscheidung zu erkundigen. Erhält er aber trotz mehrfacher Nachfrage keine Auskunft, ob und mit welchem Inhalt eine Entscheidung verkündet worden ist, kann der Partei nicht zugemutet werden, vorsorglich ein fristwahrendes Rechtsmittel einzulegen, so dass Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn die Rechtsmittelfrist infolge der absoluten Frist des § 517 nicht gewahrt worden ist (BGH NJW-RR 04, 786 [BGH 18.11.2003 - LwZB 1/03]).
Rn 16
Nicht jeder Mangel der Zustellung führt allerdings zu deren Unwirksamkeit. Die fehlende Unterschrift des Zustellers auf der Zustellungsurkunde (§ 182 II Nr 8) kann nachgeholt werden (BGH NJW-RR 08, 218, 219 [BGH 19.07.2007 - I ZR 136/05]). Praxishinweis: Die häufig vernachlässigte Frage, ob die Frist überhaupt versäumt wurde, ist vorrangig und besonders sorgfältig zu prüfen. Es ist auch möglich, vorsorglich (hilfsweise) Wiedereinsetzung zu beantragen, für den Fall, dass die Rechtzeitigkeit nicht bewiesen werden kann (BGH NJW 07, 1457 [BGH 16.01.2007 - VIII ZB 75/06]). Zur Möglichkeit des Gerichts, aus Gründen der Prozessökonomie auch bei nicht abschließend geklärter Fristversäumung Wiedereinsetzung zu bewilligen vgl oben Rn 11.
Rn 17
Soweit die Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist mit dem Ablauf von 5 Monaten ab Verkündung beginnt (§§ 517, 520 II 1, 548, 551 II 2) wird über den Fristbeginn regelmäßig keine Unklarheit bestehen, weil die Verkündung durch das Verkündungsprotokoll belegt ist (BGH NJW 15, 2342, 2343 [BGH 21.04.2015 - VI ZR 132/13]; zum Sonderfall der behaupteten Protokollfälschung vgl BGH NJW-RR 08, 804 [BGH 20.02.2007 - XII ZB 116/07]); allerdings ist zu beachten, dass es an einer wirksamen Verkündung fehlt, wenn nicht innerhalb der Fünfmonatsfrist ein beweiskräftiges Protokoll über die Verkündung eines Urteils auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel erstellt wurde (BGH NJW 11, 1741; vgl auch BGH NJW 15, 1529, 1530 f; FamRZ 13, 1566). Der Lauf der Beschwerdefrist in einer Familienstreitsache setzt voraus, dass die Entscheidung ordnungsgemäß verkündet worden ist, was nur durch ein vom Richter unterzeichnetes Verkündungsprotokoll nachgewiesen werden kann (BGH MDR 17, 417 f. [BGH 25.01.2017 - XII ZB 504/15]).