Rn 22
Im Einzelfall kann der Beweisführung der Parteien bzw der Beweisaufnahme durch das Gericht ein sog Beweishindernis entgegenstehen. Ist bereits die Erhebung eines Beweises unzulässig, spricht man von einem Beweiserhebungsverbot. Möglich ist es aber auch, dass ein bereits vorhandenes Beweisergebnis oder Beweismittel nicht in die Beweiswürdigung des Gerichts einbezogen werden darf. In diesen Fällen handelt es sich um ein Beweisverwertungsverbot.
I. Beweiserhebungsverbote.
1. Allgemeines.
Rn 23
Beweiserhebungsverbote verbieten den Beweisantritt durch ein bestimmtes Beweismittel oder über einen bestimmten Beweisgegenstand. So sind im Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess gem §§ 595 II, 605 I und 605a Zeugen, Sachverständige und Augenschein als Beweismittel ausgeschlossen. In § 80 I (schriftliche Vollmacht) und in den §§ 165 S 1, 314 S 2 (Sitzungsprotokoll) ist die Beweisführung mit anderen Beweismitteln als den genannten Urkunden unzulässig. Ein Beweiserhebungsverbot besteht auch für eine Parteivernehmung im Falle des direkten Gegenbeweises (§ 445 II) und für die Vernehmung eines Zeugen, der sich in berechtigter Weise auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat (§§ 383 I, 384). Das Gleiche gilt für die Vernehmung eines Zeugen über Tatsachen, die unter seine Verschwiegenheitspflicht fallen (§ 383 III). Unzulässig ist deshalb die Vernehmung eines Arztes über Tatsachen, die seiner Schweigepflicht unterliegen. Werden Richter oder Beamte als Zeugen vernommen, so dürfen sie nur über Umstände befragt werden, auf die sich ihre Aussagegenehmigung bezieht (§ 376 I). Unzulässig ist es schließlich, eine dritte Person als Zeugen über Tatsachen zu vernehmen, die der Beweispflichtige dieser Person unter Verstoß gegen seine Verschwiegenheitspflicht gemacht hat (Köln NJW-RR 93, 1073 [OLG Köln 22.04.1993 - 1 U 63/92]).
2. Ausforschungsbeweis.
Rn 24
Nicht erhoben werden darf auch ein Beweis, der auf eine unzulässige Ausforschung der anderen Partei gerichtet ist. Dieser sog Ausforschungsbeweis tritt in zwei verschiedenen Erscheinungsformen auf. Zum einen kann ein völlig unsubstantiierter Beweisantritt darauf abzielen, durch die Beweisaufnahme erst beweiserhebliche Tatsachen in Erfahrung zu bringen, die der Beweisführer dann zur Grundlage eines neuen Prozessvorbringens macht. Zu denken ist etwa an die pauschale Behauptung ›erheblicher Mängel‹ bei einem vom Beklagten errichteten Bauwerk mit dem Beweisantritt ›Sachverständigengutachten‹ (vgl LG Köln NZM 99, 404 für Mängel in einer Wohnung). Ein solcher Beweisermittlungsantrag muss nach einhelliger Auffassung als unzulässig zurückgewiesen werden (BGH NJW 84, 2888, 2889 [BGH 12.07.1984 - VII ZR 123/83]; MDR 91, 688 f; Baumgärtel MDR 95, 987; Gremmer MDR 07, 1172, 1173). Eine andere Beurteilung ist nur in Verfahren unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes geboten (R/S/G § 117 Rz 19).
Rn 25
Zum anderen kann ein Ausforschungsbeweis dann vorliegen, wenn eine Partei für das Vorliegen eines bestimmten Umstandes ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich Behauptungen ›aufs Geratewohl‹ oder ›ins Blaue hinein‹ aufstellt (BGH NJW-RR 91, 888, 891 [BGH 04.03.1991 - II ZR 90/90]; NJW 91, 2707, 2709 [BGH 23.04.1991 - X ZR 77/89]; 95, 2111, 2112; NJW-RR 99, 361 [BGH 17.09.1998 - III ZR 174/97]). Bei der Bewertung dieser Beweisangebote als unzulässig ist allerdings Zurückhaltung geboten. Angesichts der zahlreichen aufhebenden Entscheidungen des BGH zu dieser Frage (BGH NJW-RR 96, 1212 f [BGH 12.06.1996 - VIII ZR 251/95]; NJW 01, 2632, 2633 [BGH 29.05.2001 - VI ZR 114/00]; 03, 140, 141 [BGH 12.09.2002 - IX ZR 66/01]; NJW-RR 03, 491 f [BGH 13.12.2002 - V ZR 359/01]; 04, 337, 338 [BGH 27.05.2003 - IX ZR 283/99]; NJW 11, 3291 [BGH 19.05.2011 - VII ZR 24/08]; 12, 382 f [BGH 25.10.2011 - VIII ZR 125/11]; 13, 3180 [BGH 31.07.2013 - VII ZR 59/12]; 19, 76, 77 [BGH 26.04.2018 - VII ZR 139/17] Rz 34) liegt der Verdacht nahe, dass Instanzgerichte zuweilen das Verbot des Ausforschungsbeweises heranziehen, um zeitraubende Beweisaufnahmen zu vermeiden (vgl auch Oberheim Rz 927; Geipel/Prechtel MDR 11, 336f). Der Hinweis auf die Wahrheitspflicht des § 138 I hilft insoweit nicht weiter (so aber noch BGH NJW 68, 1233, 1234), weil dieser Grundsatz nur Behauptungen wider besseres Wissen verbietet. Behauptungen ›auf gut Glück‹ oder ›ins Blaue hinein‹ sind deshalb nur unbeachtlich, wenn die betreffende Partei ihre Unrichtigkeit positiv kennt oder von ihrem Gegenteil überzeugt ist. Dies kann aber oft nur durch eine gerichtliche Überprüfung festgestellt werden. Einer Partei steht es deshalb frei, Tatsachen zu behaupten und unter Beweis zu stellen, die sie nur für wahrscheinlich oder für möglich hält (BGHZ 193, 159, 172 Rz 40 = NJW 12, 2427; BGH NJW-RR 15, 829, 830 Rz 13; BGHZ 216, 245, 255 Rz 33 = VersR 18, 291, 294; ausf Kiethe MDR 03, 1325, 1326 ff; Dölling NJW 13, 3121, 3124f). Die Behauptung von vermuteten Tatsachen kommt va in Betracht bei inneren Tatsachen (BGH NJW 83, 2034, 2035 [BGH 04.05.1983 - VIII ZR 94/82]; Schultz NJW 17, 16, 19), bei Kausalverläufen (BGH NJW 95, 1160f [BGH 10.01...