Rn 5
Soweit der beweisbelasteten Partei kein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch gegen die andere Partei zusteht (vgl dazu Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 15 Rz 1 ff), scheitert ihre Beweisführung nicht selten daran, dass die andere Partei (oder eine dritte Person) ein berechtigtes Interesse an der Wahrung ihrer Betriebs-, Geschäfts- und Unternehmensgeheimnisse geltend machen kann (vgl die Definition bei BGH NJW-RR 16, 606, 608 Rz 14). Dieses Geheimhaltungsinteresse wird zB in §§ 87c IV, 259 S 2 HGB materiell-rechtlich und in §§ 383 I Nr 6, 384 Nr 3 verfahrensrechtlich geschützt. Der Schutz der Prozessparteien gegenüber Außenstehenden und der Öffentlichkeit wird durch die §§ 172 Nr. 2, 174 Abs 3 GVG gewährleistet. Danach können die Öffentlichkeit von der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen und die Parteien einschließlich ihrer Prozessbevollmächtigten zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. In diesem Sinne verfährt die Rspr (BGH NJW-RR 16, 606, 607 [BGH 09.12.2015 - IV ZR 272/15] Rz 9) im Anschluss an eine Entscheidung des BVerfG (VersR 00, 214, 216 [BVerfG 28.12.1999 - 1 BvR 2203/98] m Anm Reinhard) etwa in gerichtlichen Verfahren über die Zulässigkeit von Prämienanpassungen in der Energie- oder Versicherungswirtschaft (zum Ermessen des Gerichts hinsichtlich des von der Anordnung betroffenen Personenkreises vgl BGH MDR 20, 1459f). Selbst wenn die Voraussetzungen dieser Vorschriften nicht vorliegen, kann die Offenlegung von geheimen Daten für die betroffene Partei unzumutbar sein (vgl BGHZ 116, 47, 56 = NJW 92, 1817, 1819; Kiethe, JZ 05, 1034, 1035). Seit längerer Zeit wird deshalb versucht, dem Beweisführungsinteresse der beweisbelasteten Partei einerseits und dem Geheimhaltungsinteresse des Beweisgegners andererseits im Wege der Rechtsfortbildung durch die Zulassung eines besonderen beweisrechtlichen Geheimverfahrens Rechnung zu tragen (vgl die Übersicht bei Baumgärtel/Prütting, Bd 1 Kap 7 Rz 1 ff), wie es etwa das schweizerische Prozessrecht kennt (dazu Baumgärtel FS Habscheid 89, 1 ff; zur neuen schweizerischen Bundes-ZPO Rodriguez ZZP 123, 303 ff). So wird in Anlehnung an § 87c IV HGB vorgeschlagen, einem vom Gericht bestellten Sachverständigen – etwa einem Wirtschaftsprüfer oder einem Notar – Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu gewähren, der dann nur das Ergebnis referiert, ohne die Grundlagen seiner Begutachtung offen zu legen (R/S/G § 117 Rz 44; Stürner S 223 ff; Stadler NJW 89, 1202, 1205; Schlosser FS Großfeld 99, 997, 1005; Wagner ZZP 108, 193, 210 ff; Gomille S 332 f; mit ›Unbehagen‹ auch Zö/Greger § 404a Rz 6; vgl auch BGHZ 183, 153, 159 ff; BGH NJW 14, 3033, 3034 Rz 25f). Das BAG hat sogar ein Verfahren für zulässig angesehen, bei dem ein Arbeitnehmer mit einem Gewerkschaftssekretär vor einem Notar erschien, um diesem ggü seine Gewerkschaftsmitgliedschaft und seine Zugehörigkeit zum Betrieb der Beklagten nachzuweisen (BAGE 70, 85, 97 ff = NJW 93, 612 ff [BAG 25.03.1992 - 7 ABR 65/90]; ebenso die Vorinstanz LAG Nürnberg AuR 91, 220 mit zust Anm Grunsky; abl aber Prütting/Weth NJW 93, 576 f; Walker FS E. Schneider 97, 147 ff). Der Notar wurde dann als Zeuge zu diesen Umständen vernommen, ohne die Identität des Arbeitnehmers offen zu legen.
Rn 5a
Diese Entscheidung des BAG liegt auch dem Tarifeinheitsgesetz v 3.7.15 (BGBl. I 1130) zugrunde, mit dem der Gesetzgeber in den §§ 2a Abs 1 Nr 6, 58 Abs 3, 99 ArbGG ein Geheimverfahren vor den Arbeitsgerichten installiert, in dem die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder und ihr Vertretensein in einer Gewerkschaft beweisrechtlich durch Vorlage einer öffentlichen (notariellen) Urkunde festgestellt werden kann Hat der Notar seine Feststellungen über die relevanten Zahlenverhältnisse schriftlich niedergelegt, so beschränkt sich das gerichtliche Verfahren auf diese Urkundenvorlage. Ein Gegenbeweis durch eine Prozesspartei, eine Benennung von Zeugen oder Sachverständigen sowie eine freie Beweiswürdigung des Gerichts sind in diesem Verfahren ausgeschlossen. Seit Inkrafttreten des Gesetzes am 10.7.15 ist – soweit ersichtlich – ein solches Verfahren allerdings noch nicht durchgeführt worden.
Rn 5b
Nach den §§ 33g, 89b GWB, die im Jahre 2017 in Umsetzung der Europäischen Kartellschadensersatzrichtlinie in Kraft getreten sind (BGBl I 17, 1416), kann der potenziell Geschädigte bereits im Vorfeld eines Kartellschadensersatzprozesses die Herausgabe von Beweismitteln verlangen, wenn er das Bestehen eines solchen Anspruchs glaubhaft macht und die Beweismittel so genau bezeichnet, wie ihm das mit einem zumutbaren Aufwand möglich ist. Das gleiche Recht steht aber gem § 33g II GWB auch – nach Rechtshängigkeit einer entsprechenden Klage – dem potenziellen Schädiger zu, wenn die Beweismittel für dessen Verteidigung gegen einen derartigen Schadensersatzanspruch erforderlich sind. Gem § 33 g III GWB ist die Herausgabe von Beweismitteln nach den Abs 1 und 2 allerdings ausgeschlossen, soweit sie unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteili...