Rn 12

Das Gericht hat die erhobenen Beweise stets krit und sorgfältig zu würdigen. So darf das Gericht die Ergebnisse eines Sachverständigengutachtens nicht ungeprüft übernehmen, sondern muss feststellen, ob der Sachverständige von der zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen ist (BVerfG NJW 97, 1909, 1910; BGH NJW 10, 3230). So reicht es auch nicht, dass das Gericht umfänglich aus dem Sachverständigengutachten zitiert und sich diesem dann – ohne dass eine kritische Prüfung erkennbar wird – in einem Satz anschließt. Die Prüfungspflicht bezieht sich ferner auf die vollständige Verwertung der vom Gericht vorgegebenen Anknüpfungs- und Befundtatsachen, die Gesetzmäßigkeit der Befunderhebung und die dem Gutachten zugrunde liegenden juristischen Vorstellungen (BGHZ 159, 254, 257 = NJW 04, 2828; München NJW 11, 3729, 3730 mwN). Teilt der Sachverständige die Tatsachengrundlage nicht mit, ist sein Gutachten nicht verwertbar (BGH NJW 01, 2795, 2796 [BGH 03.07.2001 - VI ZR 418/99]). Zur notwendigen Beweiswürdigung gehört ggf auch die Beurteilung, ob der Sachverständige die zur Beantwortung der Beweisfragen erforderliche Sachkunde besessen hat (BGH NJW-RR 98, 1117 [BGH 16.09.1997 - X ZR 54/95]). Weist das Gutachten Widersprüche auf, hat das Gericht zur Klarstellung eine schriftliche Ergänzung des Gutachtens (BGH NJW 93, 1524, 1525 [BGH 19.01.1993 - VI ZR 60/92]; MDR 13, 868 [BGH 16.04.2013 - VI ZR 44/12]) einzuholen oder eine mündliche Erläuterung durch den Sachverständigen anzuordnen (BGH NJW 95, 779, 780 [BGH 27.09.1994 - VI ZR 284/93]). Verbleibende Unklarheiten und Zweifel muss das Gericht durch eine gezielte Befragung des Sachverständigen klären (BGH MDR 10, 1052, 1053 [BGH 06.07.2010 - VI ZR 198/09]). Führen diese Maßnahmen nicht zu einer Klarstellung, ist das Gericht mangels eigener Sachkunde gehalten, einen anderen Sachverständigen mit der Begutachtung zu beauftragen (BGH NJW 01, 1787, 1788 [BGH 16.01.2001 - VI ZR 408/99]; zur Einholung eines sog ›Obergutachtens‹ vgl Saarbr NJW-Spezial 11, 169 sowie unten § 412 Rn 4). Ein Privatgutachten kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur entbehrlich machen, wenn das Gericht allein schon aufgrund dieses Parteivorbringens ohne Rechtsfehler zu einer zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage gelangen kann (BGH NJW 16, 2328, 2333 [BGH 09.06.2016 - IX ZR 314/14] Rz 78). Haben die Parteien sich widersprechende Privatgutachten kompetenter Fachleute vorgelegt, muss das Gericht ebenfalls versuchen, die Widersprüche durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen zu klären (BGH NJW 93, 2382, 2383 [BGH 11.05.1993 - VI ZR 243/92]). Das Gleiche gilt für Widersprüche zwischen den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen im schriftlichen Gutachten und seinen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung (BGH VersR 15, 1293, 1294 [BGH 16.06.2015 - VI ZR 332/14] Rz 6; NJW-RR 19, 17 [BGH 28.08.2018 - VI ZR 509/17] Rz 19) oder zwischen zwei gerichtlich eingeholten Gutachten (BGH NJW-RR 14, 760, 761 [BGH 11.03.2014 - VI ZB 22/13]). Dies gilt schließlich auch für einen Widerspruch zwischen einem Gutachten einer ärztlichen Schlichtungsstelle und den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen (BGH NJW 16, 639, 640 [BGH 15.12.2015 - VI ZR 557/15] Rz 5 ff) oder dem Widerspruch zwischen einem Gutachten des MDK und dem gerichtlichen eingeholten Sachverständigengutachten (BGH VersR 15, 1381, 1382 [BGH 09.06.2015 - VI ZR 235/14]). Es darf den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass es ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (BGH NJW 15, 411, 412 [BGH 11.11.2014 - VI ZR 76/13] Rz 15; NJW 19, 17, 18 Rz 19; MDR 20, 114f [BGH 05.11.2019 - VIII ZR 344/18]). Ist ein Sachverständiger in 1. Instanz gehört worden und will das Berufungsgericht seine Angaben anders verstehen oder andere Schlüsse aus seinen Ausführungen ziehen als der Erstrichter, muss es ihn erneut hören (BGH MDR 20, 1269 Rz 6).

 

Rn 13

Der Zeugenbeweis ist das häufigste, aber auch unsicherste Beweismittel. Die Richtigkeit von Zeugenaussagen wird sehr leicht negativ beeinflusst durch vielfältige Fehlerquellen, etwa Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Reproduktionsmängel, das Alter des Zeugen, seine Bildung, sein Beobachtungsvermögen, seine allgemeinen Einstellungen oder seine persönlichen Beziehungen zu den Parteien (vgl dazu ausf Geipel Kap 26 Rz 1 ff; Kirchhoff MDR 10, 791 ff). So ist etwa die Wahrnehmungsfähigkeit eines Zeugen von vornherein erheblich eingeschränkt, wenn seine Aufmerksamkeit nicht auf den Beweisgegenstand fokussiert war (zu sog ›Knallzeugen‹ vgl Frankf NJW-RR 13, 664, 665 [LG Wiesbaden 08.11.2012 - 9 O 34/11]; Geipel Kap 26 Rz 22). Besondere Vorsicht ist erfahrungsgemäß auch bei Schätzungen von Geschwindigkeiten und Entfernungen geboten (vgl Ziegenhardt ZfS 19, 363 mwN). Sie müssen grds durch objektive Anknüpfungstatsachen belegt sein, also etwa durch die eigene gefahrene Geschwindigkeit im gleichgerichteten Verkehr oder die Länge von Brems...

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