Rn 58
Unter den Begriff der ›Beweislast‹ werden verschiedene, miteinander zusammenhängende Erscheinungsformen der Beweislast – die Beweislastnormen, die objektive Beweislast (Feststellungslast) und die subjektive Beweislast (Beweisführungslast) zusammengefasst, wobei die Terminologie zT sehr uneinheitlich und unpräzise ist. Im Einzelnen gilt Folgendes (s dazu ausf Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 9 Rz 10 ff):
1. Objektive Beweislast.
Rn 59
Die objektive Beweislast oder Feststellungslast betrifft die Frage, zu wessen Nachteil es geht, wenn das Vorhandensein bzw Nichtvorhandensein eines entscheidungserheblichen Tatbestandsmerkmals ungeklärt bleibt. Sie dient der Überwindung eines non liquet und sichert damit gleichzeitig die aus dem Justizgewährungsanspruch folgende Entscheidungspflicht des Gerichts. Obwohl non liquet Entscheidungen zum Teil als nachteilig empfunden werden (vgl BGH 26.2.70 – III ZR 218/67, juris Rz 16 – ›notwendiges Übel‹), gewährleistet die Regelung der objektiven Beweislast letztlich auch Rechtssicherheit und dient damit dem Rechtsfrieden. Es besteht heute Einigkeit darüber, dass sich die Frage nach der objektiven Beweislast in allen Verfahrensarten stellt, und zwar unabhängig davon, ob das Verfahren von der Verhandlungsmaxime oder vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht wird (so bereits Rosenberg S 24 ff). Den Regeln über die Verteilung der objektiven Beweislast liegen generalisierende Risikozuweisungen des Gesetzgebers zugrunde (BGH NJW-RR 10, 1378, 1379 Rz 12; Prütting S 17). Schon aus Gründen der Rechtssicherheit und der Gleichheit der Rechtsanwendung müssen diese Regeln grds vor Beginn des Prozesses abstrakt und generell festliegen (BGHZ 159, 48, 55 = NJW 04, 2011, 2013 = BGHReport 04, 1077, 1079 mit Anm Laumen). Der Rechtsuchende bzw sein Anwalt müssen bereits vor Beginn eines Prozesses wissen, was sie zu beweisen haben und welche Partei den Nachteil der Beweislosigkeit zu tragen hat (Laumen NJW 02, 3739, 3741). Diese abstrakt-generelle Ausgestaltung der Beweislastverteilung ist auch verfassungsrechtlich geboten (BVerfGE 52, 131, 147 = NJW 79, 1925 [BVerfG 24.07.1979 - 2 BvF 1/78]). Sie folgt auch aus der Existenz des § 309 Nr 12 BGB, der voraussetzt, dass bereits vor einer entsprechenden vertraglichen Abänderung eine abstrakt festliegende Beweislastverteilung vorhanden ist. Aus dem Rechtsnormcharakter der Beweislastregeln folgt zugleich, dass die gesetzlich vorgegebene Verteilung der objektiven Beweislast auch während des Prozesses vom Gericht nicht ohne Weiteres verändert werden kann, was von der Rspr nicht immer beachtet wird. Die grds mögliche Abweichung von den Beweislastregeln setzt vielmehr stets die dringende Notwendigkeit einer Modifizierung der vorhandenen Regeln mit Hilfe einer methodisch begründeten Rechtsfortbildung voraus (vgl BGH NJW 01, 78, 79 [BGH 13.10.2000 - V ZR 356/99]; s.a. Rn 71). Ausgeschlossen ist deshalb von vornherein ein Abweichen von der normativ festgelegten Verteilung der objektiven Beweislast auf Grund des konkreten Einzelfalles, etwa aus Gründen der Billigkeit oder der Beweisnot einer Partei (BGH NJW-RR 97, 892; 10, 1378, 1379; Ddorf MDR 12, 757; Hamm NJW-RR 14, 328, 329; aA etwa LG Coburg VersR 20, 1233 f bei unverschuldeter Beweisnot eines Versicherers).
2. Subjektive Beweislast.
Rn 60
Die subjektive Beweislast oder Beweisführungslast betrifft die Frage danach, welche Partei im Rechtsstreit durch aktives Tun – etwa durch das Stellen von Beweisanträgen oder die Benennung von Beweismitteln – den Beweis einer streitigen Tatsache führen muss, um den Prozessverlust zu vermeiden. Sie ist nur denkbar in Verfahren unter Geltung der Verhandlungsmaxime – dh in weiten Teilen des Zivilprozesses und im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren – und dient dementsprechend dazu, dem Richter in solchen Verfahren die Beschaffung des Prozessstoffs abzunehmen. Ihre eigenständige Bedeutung zeigt sich etwa in den §§ 445 I, 597 II, in denen ausdrücklich von dem einer Partei ›obliegenden Beweis‹ die Rede ist. Außerdem darf keine Beweisaufnahme stattfinden, wenn allein die nicht beweisführungsbelastete Partei einen Beweis angeboten hat (Celle VersR 74, 663). Schließlich hat das Gericht seine Hinweise zur Bezeichnung der Beweismittel nach § 139 I in erster Linie an die beweisführungsbelastete Partei zu richten.
Rn 61
Im Rahmen der subjektiven Beweislast ist weiter zu unterscheiden zwischen der abstrakten und der konkreten Beweisführungslast. Die abstrakte Beweisführungslast regelt die Frage, welcher Partei vor und zu Beginn des Prozesses die Beweisführungslast obliegt (Gottwald Jura 80, 225, 226). Sie ist maßgeblich dafür, von welcher Partei die Beweisinitiative auszugehen hat. Bleibt die betreffende Partei untätig, ergeht eine Beweislastentscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast. Die Verteilung der abstrakten Beweisführungslast entspricht dementsprechend in jeder Hinsicht derjenigen der objektiven Beweislast (Prütting S 28). Demgegenüber kommt der konkreten Beweisführungslast eine erhebliche praktische Bedeutung zu (s dazu ausf L...