Rn 103
Die Rechtsfolgen einer Beweisvereitelung sind seit jeher heillos umstr (vgl die Übersicht über den Meinungsstand bei Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 16 Rz 34 ff). Während ein Teil des Schrifttums von einer Beweislastumkehr ausgeht (St/J/Berger § 444 Rz 9), bevorzugt die wohl hM eine Lösung iRd Beweiswürdigung (Zö/Greger, Rz 14a; Musielak S. 139; Rosenberg S. 191). Demgegenüber billigt der BGH der beweisführungsbelasteten Partei in stRspr nach der bekannten Formel ›Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast‹ zu (BGH NJW 02, 825, 827; 04, 222 [BGH 23.09.2003 - XI ZR 380/00]; 06, 434, 436 [BGH 23.11.2005 - VIII ZR 43/05]; 08, 982, 985 [BGH 17.01.2008 - III ZR 239/06] Rz 23; 11, 778, 780 Rz 31; MDR 09, 80 f [BGH 23.10.2008 - VII ZR 64/07]; zu dieser Entscheidung auch die Bespr von Laumen MDR 09, 177 ff; ebenso Bremen MDR 08, 1061, 1062; Saarbr VersR 10, 1181, 1182 [OLG Saarbrücken 27.01.2010 - 5 U 337/09-82] m abl Anm Münkel jurisPR extra 11, 8 ff; Köln VersR 13, 715, 716; Nürnb NJW 14, 2963, 2965; München DAR 15, 651, 652; Stuttg NJW-Spezial 17, 652; zust R/S/G § 116 Rz 18). Soweit damit tatsächlich eine Umkehr der objektiven Beweislast gemeint sein sollte (zweifelnd St/J/Thole Rz 202), kann dem keineswegs gefolgt werden (vgl zuletzt Gomille JZ 18, 711, 714; Piekenbrock ZZP 131, 412, 438). Gegen eine solche Lösung sprechen bereits die in den gesetzlich geregelten Fällen der Beweisvereitelung vorgesehenen Rechtsfolgen. So sehen die §§ 371 III, 427, 441 III 3, 444, 446, 453 II lediglich vor, dass der Richter iRd Beweiswürdigung darüber zu befinden hat, ob der vereitelte Beweis als geführt anzusehen ist. Dies gilt nach Maßgabe des § 444 selbst dann, wenn die Urkunde in der Absicht beseitigt worden ist, ihre Benutzung dem Gegner zu entziehen. Ist ein Beweis als geführt anzusehen, hat dies gerade keine Umkehr der objektiven Beweislast zur Folge, sondern lediglich eine Umkehr der konkreten Beweisführungslast (wie hier St/J/Thole Rz 205; s. dazu auch oben Rn 61). Die genannten Vorschriften lassen nur den Schluss zu, dass das beweisvereitelnde Verhalten einer Partei die Verteilung der objektiven Beweislast unberührt lassen soll (ebenso Frankf MDR 10, 1317, 1318 [BGH 08.07.2010 - VII ZR 171/08] – Beweisvereitelung durch Unfallflucht). Dies ist folgerichtig, weil es sich bei einer Beweisvereitelung um ein einzelfallbezogenes Verhalten handelt, das sich häufig erst während des Prozesses zeigt und schon deshalb keinen Einfluss auf die abstrakt-generelle Verteilung der objektiven Beweislast haben darf. Durch eine Umkehr der objektiven Beweislast würde zudem die beweisführungsbelastete Partei im Ergebnis besser gestellt als sie ohne das beweisvereitelnde Verhalten stünde. Mit Hilfe des durch die Beweisvereitelung nicht zur Verfügung stehenden Beweismittels hätte die betroffene Partei nämlich auch nur den Haupt- bzw Gegenbeweis führen, dh allenfalls eine Umkehr der konkreten Beweisführungslast erreichen können. Die durch eine Umkehr der objektiven Beweislast eintretende Überkompensation des beweisvereitelnden Verhaltens ist durch nichts gerechtfertigt (vgl Laumen NJW 02, 3739, 3746).
Rn 104
Wie die gesetzlich geregelten Fälle der Beweisvereitelung zeigen, kann zugunsten der beweisführungsbelasteten Partei unterstellt werden, dass das vereitelte Beweismittel, soweit es hätte reichen können, das behauptete Ergebnis gehabt hätte. Das fingierte Ergebnis des vereitelten Beweismittels unterliegt dann aber noch – soweit dies möglich ist – uneingeschränkt der richterlichen Beweiswürdigung (zutr Frankf MDR 10, 1317, 1318 [BGH 08.07.2010 - VII ZR 171/08]; H. Weber S. 215; Thole JR 11, 327, 333 f; Musielak FS Prütting 18, 443, 451; vgl auch das Beispiel bei Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 16 Rz 46f). Die Rechtsfolge der Beweisvereitelung besteht also darin, dass der nicht erhobene Beweis ersetzt werden kann durch das für die beweisführungsbelastete Partei bestmögliche Ergebnis des ausgefallenen Beweismittels. Eine Herabsetzung des Beweismaßes ist damit nicht verbunden (H. Weber S. 217; aA Musielak/Voit/Foerste Rz 63). Es verbleibt vielmehr beim Erfordernis der vollen richterlichen Überzeugung mit der Besonderheit, dass ein Element bei der Überzeugungsbildung – nämlich das voraussichtliche Ergebnis des ausgefallenen Beweismittels – als gegeben unterstellt werden kann. Das dem Gericht dadurch eingeräumte Ermessen trägt den vielfältigen Erscheinungsformen der Beweisvereitelung Rechnung. So kann der Umfang der Beweiserleichterung vom Grad des Verschuldens der vereitelnden Partei – Vorsatz oder Fahrlässigkeit, jeweils bezogen auf die Beweisfunktion des Beweismittels – oder von einem eventuellen Mitverschulden der beweisführungsbelasteten Partei abhängig gemacht werden. Sämtliche Fallgruppen der Beweisvereitelung rechtfertigen danach aber allenfalls Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der konkreten Beweisführungslast, nicht aber eine Umkehr der objektiven Beweislast.