Rn 63

Die Verteilung der Beweislast beruht auf einer abstrakt-generellen Entscheidung des Gesetzgebers, die in unterschiedlichen Erscheinungsformen zum Ausdruck kommen kann.

1. Grundregel.

 

Rn 64

Bereits in § 193 des 1. Entwurfs zum BGB hatte der Gesetzgeber eine schon damals allgemein anerkannte Grundregel vorgesehen, die wie folgt lautete: ›Wer einen Anspruch geltend macht, hat die zur Begründung desselben erforderlichen Tatsachen zu beweisen. Wer die Aufhebung eines Anspruchs und die Hemmung der Wirksamkeit desselben geltend macht, hat die Tatsachen zu beweisen, welche zur Begründung der Aufhebung oder Hemmung erforderlich sind‹ (Mot I 382). Obwohl diese Grundregel keinen Niederschlag im Gesetzestext gefunden hat, weil ihre Geltung als selbstverständlich angesehen wurde, ist ihr als Teil des Gesetzesrechts Rechtsnormqualität beizumessen (Baumgärtel/Prütting Bd 1 Kap 11 Rz 23 ff mwN). Es ist weitgehend anerkannt, dass sie gerade im BGB durch die sprachliche Fassung und den Satzbau des Gesetzes konkludent enthalten ist. In ihrer heutigen Form lautet die Grundregel entsprechend der von Rosenberg entwickelten Normentheorie: ›Der Anspruchsteller trägt die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale, der Anspruchsgegner für die rechtshindernden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Merkmale‹. Davon geht auch heute noch prinzipiell die Rspr des BGH aus (BGH NJW 99, 352, 353 [BGH 13.11.1998 - V ZR 386/97]; ebenso BAGE 141, 144 [BAG 18.04.2012 - 5 AZR 248/11] Rz 15 = MDR 12, 979; für die rechtsvernichtenden Merkmale auch BGH NJW-RR 05, 1328, 1329 [BGH 20.06.2005 - II ZR 189/03]). Die Einordnung von Tatbestandsmerkmalen in rechtsbegründend, rechtsvernichtend und rechtshemmend ergibt sich aus der Auslegung des materiellen Rechts, wobei Ausgangspunkt stets die sprachliche und satzbaumäßige Fassung der jeweiligen Normen sein muss (vgl MüKoZPO/Prütting Rz 117; Geiger-Wieske JR 20, 95, 97 ff). So deuten etwa die Wendungen ›es sei denn, dass …‹ oder ›sofern nicht …‹ auf eine zu beweisende rechtshindernde Tatsache hin (St/J/Thole Rz 131; vgl auch den Fall BGH NJW 08, 2033, 2035). Gerade die Unterscheidung zwischen rechtsbegründenden Merkmalen einerseits und rechtshemmenden Merkmalen andererseits bereitet im Einzelfall erhebliche Probleme und bedarf einer methodischen und wertenden Gesetzesauslegung (vgl Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 27 Rz 8; Prütting S 283).

2. Beweislastsonderregeln.

 

Rn 65

Außer durch den Wortlaut und den Satzbau einer Norm kann der Gesetzgeber Abweichungen von der Grundregel auch durch ausdrückliche gesetzliche Beweislastnormen regeln. Solche Anordnungen finden sich vielfach im BGB (etwa §§ 179, 280 I 2, 345, 363, 543 IV 2, 619a, 630h, 2336 III), aber auch in anderen Gesetzen (§ 22 AGG, § 1 IV ProdHaftG, § 6 UmweltHG). Die Verteilung der Beweislast regeln ferner widerlegliche Tatsachen- (§§ 685 II, 1117 III, 1253 II, 2270 II BGB) und Rechtsvermutungen (§§ 891, 1006, 1362 I 1, 2365 BGB), indem sie dem Vermutungsgegner den Beweis des Gegenteils zuweisen (ausf § 292 Rn 4). Dazu gehören jedoch nicht die sog tatsächlichen Vermutungen, die lediglich iRd Beweiswürdigung Bedeutung erlangen und allenfalls zu einer Umkehr der konkreten Beweisführungslast führen können (§ 292 Rn 6 ff). Ebenso wenig haben die gesetzlichen Beweisregeln des § 286 II (Rn 18) mit der Verteilung der Beweislast zu tun. Sie schließen lediglich die freie Beweiswürdigung des Gerichts aus, indem sie den Beweiswert eines Beweismittels ohne Rücksicht auf die Überzeugung des Gerichts festschreiben. Wie jede Norm sind auch Beweislastnormen der Auslegung, der analogen Anwendung und der richterrechtlichen Rechtsfortbildung zugänglich (Rn 59). Eine Abweichung von der gesetzlich vorgegebenen Grundregel kann deshalb in eng begrenzten Ausnahmefällen auch durch die Rspr erfolgen, wobei Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer auf diese Weise geschaffenen Beweislastregel wiederum abstrakt und generell bestimmt sein müssen (St/J/Thole Rz 125). Solche neuen Beweislastregeln hat die Rspr etwa für die Haftung des Warenherstellers und im Bereich der Arzthaftung geschaffen (näher Rn 73 f).

3. Kriterien ohne Bedeutung für die Beweislastverteilung.

a) Beweisschwierigkeiten im Einzelfall.

 

Rn 66

Es ist bereits erwähnt worden (Rn 59), dass Beweisschwierigkeiten im Einzelfall keinen Einfluss auf die Verteilung der objektiven Beweislast haben können. Es kommt auch nicht darauf an, für welche Partei sich im konkreten Einzelfall die Beweisführung leichter darstellt. Allgemein sind auch sonstige Billigkeitserwägungen nicht geeignet, eine Abweichung von der abstrakt-generellen Ausgestaltung der Beweislastnormen zu rechtfertigen. (BGH NJW-RR 97, 892; 10, 1378, 1379 [BGH 10.03.2010 - IV ZR 264/08]; Hamm NJW-RR 14, 328, 329 [OLG Hamm 18.04.2013 - 24 U 113/12]).

b) Beweislastprinzipien.

 

Rn 67

Es ist immer versucht worden, die Beweislast nicht nach der Formulierung und der Struktur der jeweiligen Rechtssätze, sondern nach inhaltlichen Prinzipien zu verteilen (vgl etwa Wahrendorf S. 59 ff). Genannt worden ist zB eine Verteilung nach Gefahrenbereichen, nach abstrakter oder konkreter Wahrscheinlichkeit, nach Treu und Glauben, dem G...

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