Rn 21
Nach § 287 I 2 steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob und inwieweit es eine beantragte Beweisaufnahme anordnet. Dies bedeutet, dass es – anders als sonst – nicht verpflichtet ist, allen gestellten Beweisanträgen nachzugehen (BGH NJW 91, 1412, 1413; BGHZ 133, 110, 115 = NJW 96, 2501, 2502; vgl aber auch BVerfG NJW 03, 1655). Die Ablehnung von Beweisanträgen muss allerdings in der gerichtlichen Entscheidung begründet werden (BGH NJW 82, 32, 33 [BGH 13.07.1981 - II ZR 91/80]). Die Grenzen des Ermessens liegen – wie üblich – im Willkürverbot. Willkürlich ist die Zurückweisung eines Beweisantrages zB dann, wenn das Beweisergebnis unabdingbare Grundlage für eine Schadensschätzung gewesen wäre (BGH NJW-RR 88, 534, 535 [BGH 22.12.1987 - IV ZR 6/87]). Das Gleiche gilt, wenn das Gericht eine abstrakte Schadensberechnung zu Lasten des Beweisführers vornimmt, obwohl dieser Beweis für eine konkrete Schadensberechnung angeboten hat (BVerfGE 50, 32, 35 f = NJW 79, 413, 414 [BVerfG 08.11.1978 - 1 BvR 158/78]: Ablehnung des Beweisangebotes als ›höchst unökonomisch‹). Wird eine Beweisaufnahme angeordnet, ist das Gericht an die Regeln über den Strengbeweis (§ 284 Rn 18) und damit an die in der ZPO ausdrücklich genannten Beweismittel gebunden. Die Anwendung des Freibeweises scheidet deshalb iRd § 287 aus.
Rn 22
§ 287 I 2 eröffnet dem Gericht ferner die Möglichkeit, nach seinem Ermessen von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abzusehen. So kann etwa von der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens abgesehen werden, wenn es um die erforderlichen Kosten für die Beseitigung von Fahrbahnverschmutzungen geht und der Geschädigte die von ihm beglichene Rechnung des mit der Schadensbeseitigung beauftragten Unternehmens vorgelegt hat (BGH MDR 15, 1297 [BGH 15.09.2015 - VI ZR 475/14] Rz 19). Hält das Gericht das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens für überzeugend, kann es nicht gezwungen werden, ein Gegengutachten einzuholen (BGH NJW 89, 3009, 3010 [BGH 20.06.1989 - VI ZR 334/88]). Eine Ermessensüberschreitung liegt allerdings dann vor, wenn das Gericht einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Hinblick auf eine eigene Sachkunde zurückweist, ohne im Einzelnen anzugeben, auf welchen Gründen diese Sachkunde beruht (BGH NJW 97, 1640, 1641 [BGH 25.02.1997 - VI ZR 101/96]; NJW-RR 02, 166, 167 [BGH 17.10.2001 - IV ZR 205/00]). Will es seine Entscheidung auf ein von der einen Partei eingereichtes Privatgutachten stützen, darf es einen von der anderen Partei angebotenen substantiierten Gegenbeweis ebenfalls nicht zurückweisen (BGH NJW-RR 88, 331, 333 [KG Berlin 19.12.1986 - 1 W 5529/85]).
Rn 23
Schließlich ist das Gericht – allerdings ausschließlich im Falle des § 287 I – gem § 287 I 3 berechtigt, den Beweisführer vAw als Partei zu vernehmen (sog Schätzungsvernehmung). Es handelt sich um einen Unterfall der Parteivernehmung nach § 448 mit der Besonderheit, dass nicht bereits ein ›gewisser Beweis‹ für das Vorbringen des Beweisführers erbracht sein muss. Da sich § 287 I neben der Höhe des Schadens auch auf die Frage bezieht, ob ein Schaden überhaupt entstanden ist, kann die Parteivernehmung des § 287 I 3 auch zur Beantwortung der hypothetischen Frage herangezogen werden, wie sich ein Mandant bei ordnungsgemäßer Beratung durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater verhalten hätte (BGH NJW 13, 2345, 2346 [BGH 06.06.2013 - IX ZR 204/12]; NJW-RR 15, 829, 830 Rz 20 = DStR 15, 1646 [BGH 16.04.2015 - IX ZR 195/14] m Anm Laumen). Ansonsten kann eine Parteivernehmung nur bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen der §§ 445, 447 und 448 vorgenommen werden (St/J/Thole Rz 35). Eine Beeidigung des Beweisführers ist durch die Verweisung auf § 452 I 1, II–IV möglich, wenn das Gericht bereits einigen Beweis durch die Schätzungsvernehmung für erbracht hält.