Rn 6
Sind dem Richter die in S 1 genannten Rechtssätze aus seiner Praxis bekannt – etwa in Scheidungsverfahren häufig anzuwendende ausländische Vorschriften – bedarf es keines besonderen Beweisverfahrens. Das Gericht kann dann den Rechtssatz ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde legen (HK-ZPO/Saenger Rz 8). Ist dies nicht der Fall, ermittelt es die Rechtssätze vAw (BGH NJW-RR 05, 1071, 1073). Es besteht also weder eine objektive Beweislast noch eine Beweisführungslast der Parteien (BGHZ 120, 334, 342 = NJW 93, 1073, 1074; Seibl ZZP 128, 431, 433). Ein non liquet kann sich allenfalls für solche tatsächlichen Umstände ergeben, von denen das ausländische Prozessrecht die Zuständigkeit abhängig macht (BGH aaO). Das Gericht ist auch dann zur Ermittlung vAw verpflichtet, wenn die Parteien übereinstimmend von der Geltung deutschen Rechts ausgehen (MüKoZPO/Prütting Rz 47). An ein Geständnis oder ein Nichtbestreiten ist das Gericht also nicht gebunden. Während dem Gericht danach also kein Ermessen zusteht, wenn es um das ›Ob‹ der Ermittlung der in S 1 genannten Rechtssätze geht, ist das ›Wie‹ der Ermittlungen in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt (BGH NJW 14, 1244, 1245 [BGH 14.01.2014 - II ZR 192/13]). Insoweit kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht (vgl BGH NJW 17, 338, 339 Rz 18 m Anm Bouwmann; Seibl ZZP 128, 431, 434 ff), wobei die Ermittlungspflicht umso intensiver ist, je komplexer und fremder das anzuwendende Recht ggü dem deutschen ist (BGH NJW 06, 762, 764 [BGH 13.12.2005 - XI ZR 82/05] Rz 33; MDR 17, 1021 [BGH 24.05.2017 - XII ZB 337/15] Rz 14). Eine bloße Internet-Recherche zu Reisehinweisen für und zu Verkehrsregeln in Portugal ist danach mangels Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit nicht ausreichend (München NJW 17, 338 [OLG München 21.10.2016 - 10 U 2372/16] Rz 20). Soweit es um die Anwendung einer dem deutschen Recht verwandten Rechtsordnung geht, sind die Anforderungen dagegen geringer (BGH aaO).
I. Gerichtsinterne Ermittlungen.
Rn 7
Der erkennende Richter kann zunächst versuchen, sich die Kenntnis des ausländischen Rechts durch eigene Recherchen zu verschaffen, indem er in Kommentare, Lehrbücher oder sonstige Veröffentlichungen zu ausländischen Rechtsordnungen – etwa die jährlich veröffentlichten Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht – Einsicht nimmt, Kollegen bzw andere Rechtskundige befragt, bei seinem Referendar ein Kurzgutachten in Auftrag gibt oder auf entsprechende Ausführungen der Parteien zurückgreift. Ein solches Vorgehen wird sich insb bei einfachen Rechtsfragen anbieten, etwa bei Rechtsnormen des deutschsprachigen Auslands (BGHZ 118, 151, 163 = NJW 92, 2026, 2029; vgl dazu auch Musielak/Voit/Huber Rz 4). Es handelt sich dabei nicht um eine Beweiserhebung im eigentlichen Sinne, sondern um einen gerichtsinternen Vorgang (MüKoZPO/Prütting Rz 24). Das so ermittelte Recht bedarf dann ›keines Beweises‹ iSd § 293 S 1. Diese Vorgehensweise wird aber sicherlich auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben.
II. Formloses Verfahren.
Rn 8
§ 293 S 2 eröffnet dem Gericht ferner die Möglichkeit, innerhalb des Verfahrens alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen in formloser Weise heranzuziehen. Es kann dabei vAw tätig werden und ist nicht auf die Beweismittel der ZPO beschränkt. Nur im Hinblick auf dieses formlose Beweisverfahren lässt sich davon sprechen, dass bei der Ermittlung des ausländischen Rechts die Grundsätze des Freibeweises anwendbar sind (Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 2 Rz 28). Das Gericht kann in diesem Rahmen formlos Auskünfte von Privatpersonen oder in- und ausländischen Behörden einholen, um die Vorlage von Akten ersuchen oder Gutachten aus anderen Verfahren beiziehen. In Betracht kommen Auskunftsersuchen an deutsche oder ausländische Botschaften, Konsulate oder Ministerien, aber auch an rechtswissenschaftliche Universitätsinstitute, die häufig in der Lage sind, formlose Kurzauskünfte zu erteilen (krit zu dieser Art der Ermittlung aber Seibl ZZP 128, 431, 436 mwN). Eine erhebliche praktische Bedeutung iRd formlosen Verfahrens hat das Europäische Übereinkommen v 7.6.68 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht (BGBl 74 II, 938; abgedruckt bei MüKoZPO/Prütting Rz 33 ff).
III. Förmliches Beweisverfahren.
Rn 9
Dem Gericht steht schließlich die Möglichkeit offen, einen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens über die jeweilige Rechtsfrage zu beauftragen. Wählt es diesen Weg, ist es an die Regeln über den Sachverständigenbeweis gebunden, dh es gilt der Strengbeweis (BGH NJW 94, 2959, 2960; krit Geisler ZZP 91, 176, 193 ff). Das Gericht hat dementsprechend zunächst einen Beweisbeschluss zu erlassen, in dem es den Sachverständigen benennt (§ 404). Ferner muss es den Sachverständigen auf rechtzeitigen Antrag einer Partei zur mündlichen Verhandlung laden, damit die Parteien ihm ergänzende Fragen stellen können (§§ 402, 397). Insoweit steht dem Gericht kein Ermessen zu. Da es die Rechtssätze des § 293 S 1 vAw ermitteln muss, kann es die Einholung des Sachverständigengutachtens auch nicht von der vorherigen Einzahlung eines Kostenvorschusses...