Rn 62
Das im Rechtszug übergeordnete Gericht darf weder eine von der Vorinstanz unterlassene Zurückweisung nachholen (BGH NJW 17, 2288 [BGH 31.05.2017 - VIII ZR 69/16] Rz 15; 81, 2255, 2256) noch die Zurückweisung auf eine andere als die von der Vorinstanz angewandte Vorschrift stützen (BGH 15.9.14 – II ZR 22/13 Rz 9; 15.7.14 – VI ZR 176/13 Rz 4; 20.3.19 – VII ZR 182/18, NJW-RR 19, 726 Rz 18; zur Nichterhebung eines Beweisangebots, weil Auslagenvorschuss nicht eingezahlt worden sei BGH 25.4.19 – I ZR 170/18 Rz 16 sowie hier Rn 37). Ein Wechsel der Präklusionsbegründung durch das Rechtsmittelgericht kommt grds nicht in Betracht (BGH 23.9.20 – IV ZR 74/20; GRUR 10, 859, 861 [BGH 25.02.2010 - I ZB 18/08]; NJW 06, 1741). § 531 I eröffnet nur die Prüfung, ob eine Zurückweisung in 1. Instanz zu Recht vorgenommen worden ist. Die Entscheidung darüber, ob im ersten Rechtszug vorgetragene Angriffs- und Verteidigungsmittel als verspätet zurückgewiesen werden können, obliegt aber allein dem Richter dieses Rechtszugs. Das bezieht sich auch auf Präklusionsentscheidungen ohne Ermessensspielraum (§ 296 I). Unterbleibt rechtsfehlerhaft eine Zurückweisung, so ist dieser Verfahrensfehler überholt und das Vorbringen zu berücksichtigen, weil auch die verfahrensfehlerhafte Zulassung die Zurückweisungsvoraussetzung der drohenden Verzögerung beseitigt, sie sich gleichsam selbst heilt. Eine zu Unrecht erfolgte Zulassung verspäteten Vorbringens 1. Instanz kann wegen der damit verbundenen Einführung in das Verfahren das Berufungsgericht nicht korrigieren (BGH NJW 06, 1741, 1742; NJW 04, 2382, 2383 [BGH 02.04.2004 - V ZR 107/03]). Eine nachträgliche Zurückweisung erstinstanzlich bereits vorgetragener Angriffs- und Verteidigungsmittel als verspätet durch das Rechtsmittelgericht scheidet aus (BGH NJW 06, 1741, 1742 [BGH 22.02.2006 - IV ZR 56/05]; 07, 3127 [BGH 27.02.2007 - XI ZR 56/06]; BAG NJW 08, 2362, 2363 [BAG 19.02.2008 - 9 AZN 1085/07]). Entspr gilt, wenn eine Zurückweisung aufgrund fehlerhafter Anwendung der dafür herangezogenen Vorschrift vom Rechtsmittelgericht aufzuheben und die Anwendung einer an sich eingreifenden Präklusionsnorm fehlerhaft unterblieben ist (BGH 2.9.13 – VII ZR 242/12 Rz 9). Ist erstinstanzliches Vorbringen unberücksichtigt geblieben, ohne nach § 296 präkludiert worden zu sein, ist § 531 I nicht anwendbar (BGH 21.3.13 – VII ZR 58/12 Rz 10; 20.3.19 – VII ZR 182/18 Rz 17), zB wenn in der 1. Instanz zB über ein Beweisangebot nicht entschieden wurde, weil das Gericht die Klage schon für unzulässig hielt. Dann ist das nicht zurückgewiesenes Vorbringen ohne Weiteres Prozessstoff der 2. Instanz geworden, ohne dass es hier erneut vorgetragen werden müsste (BGH 24.9.19 – VI ZR 517/18, NJW 20, 244 Rz 8). Bei Vorbringen, welches in 1. Instanz nach § 296a unberücksichtigt blieb, kommt § 531 I nicht in Betracht (BGH FamRZ 20, 2021; 27.2.18 – VIII ZR 90/17, NJW 18, 1686 Rz 17). Ist in der Berufungsinstanz Vorbringen fehlerhaft zugelassen worden, kann daraufhin erfolgtes Vorbringen der anderen Partei nicht nach § 531 II Nr 3 oder nach § 525 S 1, § 282 I, § 296 II als verspätet zurückgewiesen werden (BGH 16.10.08 – IX ZR 108/06, Rz 10). Während die Zulassung verspäteter Angriffs- und Verteidigungsmittel unanfechtbar ist, kann die fehlerhafte Zulassung verzichtbarer Zulässigkeitsrügen (Abs 3) mit Berufung und Revision beanstandet werden (Rn 49). Will das Berufungsgericht Vortrag beachten, den das Ausgangsgericht als verspätet unberücksichtigt gelassen hatte, muss es darauf hinweisen (BGH NZI 16, 134 [BGH 17.12.2015 - IX ZR 61/14] Rz 53). Zu unstreitigem Vortrag s Rn 20.