Gesetzestext

 

(1) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so kann, wenn nur die Verhandlung über die Forderung zur Entscheidung reif ist, diese unter Vorbehalt der Entscheidung über die Aufrechnung ergehen.

(2) Enthält das Urteil keinen Vorbehalt, so kann die Ergänzung des Urteils nach Vorschrift des § 321 beantragt werden.

(3) Das Urteil, das unter Vorbehalt der Entscheidung über die Aufrechnung ergeht, ist in Betreff der Rechtsmittel und der Zwangsvollstreckung als Endurteil anzusehen.

(4) 1In Betreff der Aufrechnung, über welche die Entscheidung vorbehalten ist, bleibt der Rechtsstreit anhängig. 2Soweit sich in dem weiteren Verfahren ergibt, dass der Anspruch des Klägers unbegründet war, ist das frühere Urteil aufzuheben, der Kläger mit dem Anspruch abzuweisen und über die Kosten anderweit zu entscheiden. 3Der Kläger ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist. 4Der Beklagte kann den Anspruch auf Schadensersatz in dem anhängigen Rechtsstreit geltend machen; wird der Anspruch geltend gemacht, so ist er als zur Zeit der Zahlung oder Leistung rechtshängig geworden anzusehen.

A. Normzweck.

 

Rn 1

Der (in das Ermessen des Gerichts gestellte) Erlass eines Vorbehaltsurteils dient der Abwehr einer durch (zweifelhafte) Aufrechnungserklärungen herbeigeführten Prozessverschleppung und damit dem Interesse des Anspruchstellers an zügiger Titulierung (BGHZ 69, 270, 272f). Das Vorbehaltsurteil wird als auflösend bedingtes Endurteil verstanden (BGH NJW 78, 43 mwN). Tatsächlich handelt es sich um einen Zwitter zwischen End- und Zwischenurteil. Das Vorbehaltsurteil führt zu einer Verurteilung und steht dem Endurteil im Hinblick auf Vollstreckbarkeit und Rechtsmittel gleich (Abs 3), aber es belässt den Rechtsstreit über die vorbehaltenen Einwendungen in derselben Instanz und ist darin einem Zwischenurteil ähnl. § 302 ist eine Sonderregelung zu § 300, nicht zu § 301 (aA B/L/H/A/G/Hunke Rz 1). In Zweifelsfällen ist § 302 eng auszulegen (Kobl MDR 02, 715, 716 [OLG Koblenz 10.01.2002 - 2 U 825/01]); nicht jede mit der Prüfung von Einwendungen verbundene Verzögerung kann die Titulierung und die Verweisung ins Nachverfahren rechtfertigen.

 

Rn 2

Für den Urkunden- sowie Scheck- und Wechselprozess gelten §§ 599, 602, 605a unabhängig von § 302. Im Urkundenprozess soll aber ohne Rücksicht auf § 599 der Erlass eines Vorbehaltsurteils nach § 302 möglich sein, wenn der Beklagte sich ausschließlich mit einer bestrittenen Gegenforderung verteidigt, über die noch Beweis zu erheben ist (Celle NJW 74, 1473, 1474, zweifelhaft). Mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.3.00 (BGBl I 330) ist mit Wirkung zum 1.5.00 der Abs 1 neu gefasst und den Gerichten die Möglichkeit eingeräumt worden, auch bei der Aufrechnung mit einer im rechtlichen Zusammenhang mit der Klage stehenden, sog konnexen Gegenforderung ein Vorbehaltsurteil zu erlassen (zur intertemporalen Anwendung Oldbg BauR 05, 887, 888). Dadurch sollte die Möglichkeit zur zügigen Titulierung fälliger Ansprüche insb für Bauunternehmer verbessert und zugleich verhindert werden, dass die Zahlungspflicht durch Aufrechnung mit unberechtigten Gegenforderungen verschleppt wird (BTDrs 14/2752, 14f).

B. Die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen.

I. Aufrechnung mit einer Gegenforderung (Abs 1).

 

Rn 3

Der Beklagte muss die Aufrechnung mit einer gegen die Klageforderung gerichteten Gegenforderung geltend gemacht haben. Ob es sich um eine inkonnexe oder konnexe Gegenforderung handelt, ist unerheblich, aber für die Ermessensausübung von Bedeutung (Rn 9 f). Die Erklärung der Aufrechnung ist unverzichtbar (BGHZ 103, 362, 368), bloße Ankündigung reicht nicht aus. Der Wortlaut des Abs 1 lässt es zu, sowohl die im Prozess erstmals erklärte Aufrechnung als auch die Geltendmachung der bereits vorprozessual erklärten materiell-rechtlichen Aufrechnung zu erfassen. Das entspricht den Grundsätzen bei § 145 Rn 10 ff und allgM (s Nachweise dort; so auch B/L/H/A/G/Hunke Rz 6). Bei der vorprozessual erklärten Aufrechnung ist freilich der Zweck des Abs 1 weniger tangiert, denn um die Verschleppung eines bereits begonnenen Prozesses geht es dann ebenso wenig und ebenso viel wie bei der Erhebung sonstiger rechtsvernichtender Einwendungen und bei anderen Erfüllungssurrogaten, bei denen die Möglichkeit eines Vorbehaltsurteils gerade nicht besteht.

 

Rn 4

Hat der Beklagte ein Leistungsverweigerungsrecht (zB nach § 320 BGB wegen mangelhafter Leistung) geltend gemacht, so findet Abs 1 keine Anwendung. Andernfalls wäre das Leistungsverweigerungsrecht seines Sinns entleert, wenn der Kl gleichwohl einen Titel über die an sich nicht durchsetzbare Hauptforderung erhielte (vgl BGH NJW 05, 3574, 3576 [BGH 22.09.2005 - VII ZR 117/03]). Geboten ist vielmehr die Zug-um-Zug-Verurteilung (§§ 274, 322 BGB). Wegen der synallagmatischen Verknüpfung nach § 320 Abs 1 BGB kann kein Vorbehaltsurteil ergehen, wenn ein Besteller der Werklohnforderung Ersatz von Mängelbeseitigungskosten entgegenhält (BGH ...

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