Prof. Dr. Christoph Thole
Gesetzestext
(1) Ist ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig, so kann das Gericht über den Grund vorab entscheiden.
(2) Das Urteil ist in Betreff der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen; das Gericht kann jedoch, wenn der Anspruch für begründet erklärt ist, auf Antrag anordnen, dass über den Betrag zu verhandeln sei.
A. Normzweck.
Rn 1
Das Grundurteil des § 304 ist ausweislich der gesetzlichen Überschrift ein Zwischenurteil (zur Einführung Keller JA 07, 433). Anders als das Zwischenurteil des § 303 betrifft es nicht prozessuale (Vor-)Fragen, sondern die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden materiellen Verhältnisse. Im Unterschied zum Teil- und Endurteil erfasst es aber nicht einen eigenständigen Streitgegenstand oder einen abgrenzbaren Teil desselben. Es kann aber mit einem Teilendurteil verbunden werden; in Fällen des § 301 I 2 ist dies obligatorisch (§ 301 Rn 17; unten Rn 21 aE). Das Grundurteil ist immer stattgebender Natur, da die Klage bei fehlendem Anspruchsgrund durch (Teil-)Endurteil abzuweisen ist. Anders als das Feststellungsurteil entfaltet das Grundurteil nur innerprozessuale Bindungswirkung (§ 318), keine materielle Rechtskraft. In Betreff der Rechtsmittel ist das Zwischenurteil dem Endurteil gleichgestellt.
Rn 2
Der Erlass eines Grundurteils eröffnet die Möglichkeit, den Prozessstoff durch Aufteilung in das Grund- und das Betragsverfahren abzuschichten und die zügige Verfahrenserledigung durch die damit verbundene Konzentration auf den jeweiligen Streitstoff zu fördern (BGH NJW 16, 3244 [BGH 28.06.2016 - VI ZR 559/14] Tz 26). Wenn das Betragsverfahren erst nach formeller Rechtskraft des Grundurteils fortgeführt wird (Rn 24), dann kann sich das über den Betrag entscheidende Gericht bei einer Aufhebung des Grundurteils uU aufwändige Beweisaufnahmen zur Anspruchshöhe ersparen. Das Grundurteil dient also primär der prozessökonomischen Verfahrenserledigung (BGH NZM 03, 372, 373 [BGH 12.02.2003 - XII ZR 324/98]). Die Anwendung des § 304 ist indes kein Selbstläufer. Stets sind die Voraussetzungen sorgfältig zu prüfen und das dem Gericht eingeräumte Ermessen (Rn 20) gewissenhaft auszuüben, um unnötige Kosten und zusätzlichen Prozessaufwand für die Parteien zu vermeiden, sachliche Zusammenhänge zwischen Grund und Betrag nicht zu zerreißen und zu verhindern, dass die endgültige Verfahrenserledigung eher verzögert denn beschleunigt wird (ausf Schilken ZZP 95, 47, 51, 57).
B. Die einzelnen Voraussetzungen.
I. Streit über Grund und Betrag der Klageforderung.
1. Art des Anspruchs.
Rn 3
Der streitgegenständliche (prozessuale) Anspruch muss nach Grund und Höhe streitig sein. Das kann nur bei solchen Ansprüchen der Fall sein, die Zahlungen von Geld oder Leistung anderer vertretbarer Sachen zum Gegenstand haben, also nicht bei Klagen auf Abgabe einer Willenserklärung oder auf Leistung unvertretbarer Sachen, bei Räumungsklagen oder bei Unterlassungsklagen. Beseitigungsklagen eignen sich nur dann für ein Grundurteil, wenn die Beseitigung ausnahmsweise in der Zahlung eines Betrags besteht. Der jeweilige Anspruch kann persönlicher oder dinglicher Natur sein (St/J/Althammer Rz 5). Auf den materiell-rechtlichen Rechtsgrund der Forderung kommt es nicht an (BGHZ 53, 17, 23: Bereicherungsanspruch). Auch Anfechtungsansprüche (§ 11 AnfG, § 143 InsO) können durch Grundurteil beschieden werden, soweit sie auf Leistung von Geld oder vertretbare Sachen gerichtet sind, erst recht Wertersatzansprüche (§ 143 I 2 InsO). Der jeweilige Anspruch muss allerdings nicht zum Gegenstand eines Leistungsantrags gemacht sein (missverständlich St/J/Althammer Rz 6), wohl aber dem streitgegenständlichen Lebenssachverhalt zugehören, sodass über den Klageantrag nicht ohne Rücksicht auf den Anspruch entschieden werden kann. Es genügt deshalb auch eine Klage auf Befreiung von einer auf eine solche Leistung gerichteten Verbindlichkeit (BGH NJW 01, 155, 156 [BGH 04.10.2000 - VIII ZR 109/99] mN: in casu abl wegen Unbestimmtheit der Verbindlichkeit), auf Einwilligung in die Auszahlung eines hinterlegten Betrags oder vertretbarer Sachen (Zö/Feskorn Rz 3) und auf Duldung der Zwangsvollstreckung wegen einer bestimmten Forderung – hier legt das Grundurteil die Existenz einer Duldungspflicht fest, das Betragsverfahren dessen Umfang. Es genügt nicht, dass der Anspruch nur Gegenstand einer Einwendung, insb einer Aufrechnung oder eines Zurückbehaltungsrechts ist (RGZ 101, 40, 41; BGH NJW 84, 2213, 2214 [BGH 24.02.1984 - V ZR 187/82]).
Rn 4
Bei einer Feststellungsklage kommt ein Grundurteil über die zugrunde liegende Verpflichtung in Betracht, wenn der Feststellungsantrag einen bestimmten Leistungsumfang beziffert. Fehlt es an einer Bezifferung, so ist zu differenzieren: Bei einem unbezifferten Feststellungsantrag (BGHZ 132, 320, 327) und unbezifferten Freistellungsansprüchen (BGH NJW 01, 155, 156) scheidet ein Urt iSd § 304 grds aus, da sich Grund und Höhe nicht unterscheiden lassen (Köln BeckRS 19, 14345). Das betrifft insb Fälle, in denen eine Schadensersatzpflicht von einer künftigen, im Einzelnen noch ungewissen Entwicklung abhängt (BGH NJW 91, 1896). Hat – wie häufig im Schadensersatzpro...