Prof. Dr. Christoph Thole
Gesetzestext
(1) 1Erachtet das Gericht in einer Streitigkeit zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder dem Mieter und dem Untermieter wegen Räumung von Wohnraum den Räumungsanspruch für unbegründet, weil der Mieter nach den §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen kann, so hat es in dem Urteil auch ohne Antrag auszusprechen, für welche Dauer und unter welchen Änderungen der Vertragsbedingungen das Mietverhältnis fortgesetzt wird. 2Vor dem Ausspruch sind die Parteien zu hören.
(2) Der Ausspruch ist selbständig anfechtbar.
A. Normzweck und Grundlagen.
Rn 1
§ 308a ergänzt die Ausnahmen zum ultra ne petita-Grundsatz des § 308. In der Regelung kommt eine sozialpolitische Zielsetzung des Gesetzgebers zum Ausdruck. Der in den §§ 574–574b BGB geschaffene Schutz des Mieters soll nicht an prozessualen Erfordernissen scheitern (Zö/Feskorn Rz 1). Sachlich befreit Abs 1 den Mieter von der Notwendigkeit, den Fortsetzungsanspruch mit der Widerklage zu verfolgen; der Richter darf und muss (BVerfG NJW-RR 15, 526, 527 [BVerfG 09.10.2014 - 1 BvR 2335/14] Tz 14) das Rechtsverhältnis ohne entsprechenden Antrag umgestalten. Daneben verfolgt § 308a aber auch handfeste prozessökonomische Ziele. Würde die Räumungsklage abgewiesen, aber nicht über die Fortdauer des Mietverhältnisses entschieden, entstünde ein Schwebezustand, der auf Sicht einen neuen Rechtsstreit generierte.
B. Voraussetzungen.
Rn 2
Die Räumungsklage des Vermieters gegen den Mieter oder des Mieters gegen den Untermieter muss unbegründet sein, weil der Beklagte nach den §§ 574–574b BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen kann. Materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage ist § 574a BGB, der auf § 574 BGB Bezug nimmt. Diese Vorschrift setzt voraus: 1. Wirksame Kündigung des Vermieters, 2. form- und fristgerechter Widerspruch des Mieters (§§ 574, 574b BGB), 3. unzumutbare Härte für den Mieter unter Abwägung der Vermieterinteressen (näher PWW/Riecke § 574 BGB Rz 2 ff). Es stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, wenn das Gericht auf eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 308a erkennt, ohne die Begründetheit der Kündigung geprüft und bejaht zu haben (LG München I WuM 01, 561). Ist die Kündigung unwirksam, dauert das Mietverhältnis ohnehin kraft der vertraglichen Vereinbarung fort. Für § 575c BGB (weitere Fortsetzung bei unvorhergesehenen Umständen) gilt § 308a analog, nicht jedoch bei einem Zeitmietvertrag (§ 575 II 2, III 1 BGB), wenn Mieter den Anspruch auf Fortsetzung nicht durch einen zeitlich bestimmten Antrag geltend gemacht hat (LG Berlin MDR 99, 1436 [LG Berlin 13.04.1999 - 64 T 14/99]; Zö/Vollkommer Rz 2; HK-ZPO/Saenger Rz 2; MüKoZPO/Musielak Rz 2). Bei außerordentlicher fristloser Kündigung greift § 308a schon wegen § 574 I 2 BGB nicht ein. Abs 1 gilt wegen seines Schutzzwecks nur für die Wohnraumvermietung, nicht entsprechend für Fortsetzungsverlangen bei Gewerbemiete.
Rn 3
Abs 1 enthält nur eine Aussage über die Entbehrlichkeit des Antrags, soll aber weder einem Inzidentantrag analog §§ 302 IV 4, 717 III 2 noch einer Widerklage das Rechtsschutzbedürfnis nehmen (LG Berlin Grundeigentum 04, 235, 236 = 62 S 254/03 – juris; ThoPu/Reichold Rz 8; Zö/Feskorn Rz 2). Die Zulässigkeit der Widerklage ist zweifelhaft (so auch Musielak/Musielak Rz 8), denn der Beklagte kann auch ohne eine Widerklage sein Begehren formulieren und für die Anfechtung des Ausspruchs genügt bei ihm die materielle Beschwer (§ 511 Rn 17).
Rn 4
Ergibt sich aus dem Beklagtenvortrag, dass der Bekl kein Interesse an einer Fortsetzung hat oder nur die Verlängerung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt wünscht, kann das Gericht darüber nicht hinausgehen (MüKoZPO/Musielak Rz 3); insoweit bedarf es des mit Abs 1 zumindest auch bezweckten Mieterschutzes (Rn 1) gerade nicht. Ein tatsächliches Fortsetzungsverlangen des Mieters ist für Abs 1 aber nicht erforderlich; es liegt ohnehin meist im Widerspruch gegen die Kündigung (Zö/Feskorn Rz 2). Dem Mieter steht es frei, der Erhebung einer Räumungsklage durch eine Gestaltungsklage auf Fortsetzung des Mietverhältnisses zuvorzukommen. Hat der Mieter darin den Verlängerungszeitraum nicht bestimmt, ist Abs 1 entsprechend anzuwenden (MüKoZPO/Musielak Rz 2); aus Abs 1 ergibt sich demnach das Recht zu einem unbestimmten Antrag bei der selbstständigen Fortsetzungsklage.
C. Entscheidung des Gerichts.
I. Rechtliches Gehör.
Rn 5
Die Parteien sind vor dem Ausspruch selbstverständlich anzuhören (Abs 1 S 2). § 308a hebt die Verhandlungsmaxime nicht auf (Musielak/Musielak Rz 6; ThoPu/Reichold Rz 7). § 308a kommt daher theoretisch auch bei Säumnis in Betracht. Bei Säumnis des Beklagten begründet unschlüssiges Klägervorbringen die Abweisung der Räumungsklage und den Ausspruch nach Abs 1, wenn sich daraus auch die Bedingungen für die Fortsetzung des Mietverhältnisses ergeben und der Fortsetzungsausspruch nicht erkennbar dem Willen des Mieters widerspricht – diese Voraussetzungen liegen selten vor (St/J/Althammer Rz 13). Bei Säumnis des Klägers ist die Räumungsklage ohne Sachprüfung abzuweisen und der Ausspruch nach Abs 1 zu tr...