Rn 16

Auf das Parteivorbringen ist angemessen und nachvollziehbar einzugehen (BayVerfGH NJW 05, 3771, 3772 [BVerfG 30.06.2005 - 1 BvR 2615/04]), nicht aber auf jede Einzelheit, sondern auf den Kern des Vorbringens; wird ein Gesichtspunkt, der von einer Partei vorgebracht wird, nicht gewürdigt, obwohl er auch nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich wäre, so lässt dies die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vermuten (BVerfG NJW 92, 2556, 2557 [BVerfG 01.04.1992 - 1 BvR 1097/91]; BGH NJW-RR 95, 1033, 1034; 97, 688, 689 [BGH 17.12.1996 - X ZR 76/94]), aber nicht bei einem Vortrag, auf den es aus Sicht des Gerichts nicht ankommt (BAG NJW 08, 2362, 2363 [BAG 19.02.2008 - 9 AZN 1085/07] Tz 6). Aber auch ein nobile officium kann das Gericht veranlassen, auf einen verfehlten Rechtsstandpunkt einer Partei obiter einzugehen. Nebenentscheidungen bedürfen idR nur eines Hinweises auf die angewendete Vorschrift; das insoweit gänzliche Fehlen einer Begründung schadet nicht, wenn das Gericht erkennbar von einem gesetzlichen Regelfall ausgegangen ist.

Die erhobenen Beweise sind sorgfältig zu würdigen (§ 286 Rn 12), § 286 I 2; auf die Bezeichnung bestimmter Aussagen als ›ergiebig‹ oder gar ›positiv ergiebig‹ sollte verzichtet werden. Auch iÜ muss das Gericht deutlich machen, dass es sich eine eigene Anschauung verschafft hat, daher keine Begründung eines Unterhaltsurteils anhand eines Computerausdrucks aus einem Unterhaltsberechnungsprogramm (Zweibr FamRZ 04, 1735). Wohl aber reicht uU eine Bezugnahme auf eine Entscheidung in einer Parallelsache zwischen denselben Parteien oder zwischen sonstigen Parteien, sofern die Entscheidung Gegenstand der Verhandlung war (BGH NJW 71, 39 f [BGH 02.10.1970 - I ZB 9/69]; NJW-RR 91, 830 [BGH 08.11.1990 - I ZR 49/89]; strenger wohl BAG NJW 58, 119 [BAG 04.10.1957 - 1 AZR 463/55]; BB 98, 1954, 1955 [BAG 16.06.1998 - 5 AZR 255/98]).

Auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlautes sollte nicht verzichtet werden, wenn dies dem Verständnis der Subsumtionsschritte und der Überprüfung durch die Rechtsmittelinstanz dient; das kann zB bei Sachverhalten mit intertemporalen Bezügen der Kontrolle dienen, ob das Gericht das Gesetz in seiner aktuellen Fassung angewendet hat; und auch sonst der Klarheit dienlich sein (zB die Nennung der einschlägigen Tatbestandsalternative bei § 812 BGB). Wenden Urteile des Amtsgerichts ausländisches Recht an, so war dies bisher förmlich festzustellen, zumindest aber die angewendeten Vorschriften oder Rechtssätze des zugrunde gelegten ausländischen Rechts ausdrücklich als solche zu bezeichnen, da davon die Berufungszuständigkeit (§ 119 I Nr 1c) GVG aF) abhing (BGH NJW 07, 1211, 1213 [BGH 18.01.2007 - V ZB 129/06] Tz 15f). Trotz Änderung des § 119 GVG sollte daran festgehalten werden. Auf Präjudizien und auf den Meinungsstand im Schrifttum sollte, soweit für das relevante Problem einschlägig, schon deshalb eingegangen werden, um die Überzeugungskraft des Urteils zu stärken (krit Heitmann NJW 97, 1827, 1828); im Zweifel kann die Einbettung in den wissenschaftlichen Kontext den Blick für die richtige Lösung und den rechtlichen Standort des Streits eher schärfen denn ihm abträglich sein (tendenziell anders Heitmann NJW 97, 1826, 1827); daher muss sich ein Urt nicht in der Wiedergabe des ›Palandt‹ erschöpfen. Das Urt muss aber keine wissenschaftliche Abhandlung sein und sollte nicht den Versuch machen, jede einzelne Literaturauffassung aufzuspüren und zu würdigen; daher sind Nachweise auf das Notwendige zu beschränken (insoweit richtig B/L/H/A/G/Hunke Rz 45; Heitmann NJW 97, 1826, 1827), erst recht in 1. Instanz, wenn die Tatsachenfragen im Vordergrund stehen.

Das Gericht entscheidet jeweils nach seinem Ermessen (BVerfG NJW 87, 2499). Auch die Verwendung von Textbausteinen ist nicht von vornherein unzulässig (Celle FamRZ 90, 419; streng aber München NJW-RR 08, 1091, 1092). Ebenso darf ein offenbar wenig ausgelasteter Richter dichten (B/L/H/A/G/Hunke Rz 48; zB LG Frankf NJW 82, 650 [LG Frankfurt am Main 17.02.1982 - 2/22 O 495/81]), was aber mE der Würde des Gerichts nicht gut ansteht. Wird die Klage vollumfänglich zugesprochen, reicht es aus, auf diejenige materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage einzugehen, die sich am einfachsten begründen lässt; ggf kann es sich aber ein kurzer Hinweis empfehlen, dass die Klage auch aus dem anderen Gesichtspunkt begründet wäre. Bei Klageabweisung sind sämtliche naheliegenden Anspruchsgrundlagen durchzuprüfen, auch solche, die von den Parteien nicht explizit angesprochen wurden.

Die Beurteilung von Verstößen erfolgt meist aus Sicht des rechtlichen Gehörsanspruchs bzw des Justizgewährungsanspruchs: Nr 6 bzw der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn Entscheidungsgründe gänzlich fehlen (BGH NJW-RR 97, 688, 689 [BGH 17.12.1996 - X ZR 76/94]); dann liegt ein Revisionsgrund vor (§ 547 Rn 13); wenn die Anträge nicht erschöpfend erledigt werden (s.a. Rn 7), Angriffs- und Verteidigungsmittel oder streitige Rechtsfragen übergangen ...

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