Prof. Dr. Christoph Thole
Rn 3
Urt iSd Abs 1 S 1 meint die Urschrift des vollständig abgefassten (anders bei Abs 2 S 2) Urteils, da nur durch die auf der Urschrift geleistete Unterzeichnung die Verbindlichkeit dieses Urteils bestätigt wird. Ist das Urt noch nicht unterschrieben, besteht auch das Rechtsschutzinteresse für einen Befangenheitsantrag fort (Sächs LAG, 14.6.10, 3 Sa 666/09 – juris). Die Unterschriftsleistung auf einer Abschrift oder Kopie reicht daher, auch bei Nachholung der Unterschrift (Rn 10), nicht aus. Das Urt muss schon so vorliegen, wie es verbindlich sein soll. Die Unterschrift auf einem Formblatt, das Textbausteine sowie für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte (auswählbare) Anweisungen an die Geschäftsstelle enthält, genügt nicht (Celle FamRZ 90, 419). Das hindert das Gericht aber nicht, sein Urt aus Textbausteinen zusammenzusetzen und sodann notwendige Ergänzungen oder Einschübe vorzunehmen; § 315 ist gewahrt, wenn das Gericht das so zusammengeflickte Urt in seiner als endgültig erachteten Form unterschreibt (Celle FamRZ 90, 419). Handelt es sich um ein Protokollurteil (§ 540 Rn 21), bei dem das Urt im Sitzungsprotokoll enthalten ist, reicht die Unterschrift auf dem Protokoll aus, wenn das Urt iÜ vollständig abgefasst ist (§ 313); es gibt dann nur Protokoll und Urt in einem (St/J/Althammer Rz 3; B/L/H/A/G/Hunke Rz 4; vgl BGH NJW-RR 07, 141 [BGH 16.10.2006 - II ZR 101/05] Tz 7; 07, 1567 Tz 10); umgekehrt genügt Unterschrift des vollständig abgefassten Urteils mit den Angaben nach § 313 I Nr 1–4, wenn es mit dem Protokoll verbunden wird, um so den inhaltlichen Bezug zu den in das Sitzungsprotokoll ›ausgelagerten‹ Darlegungen nach § 540 I 1 herzustellen (BGHZ 158, 37, 41 = NJW 04, 1666; BGH NJW 05, 830, 831); es genügt aber nicht, ein vom Vorsitzenden und vom UdG unterzeichnetes Sitzungsprotokoll, das zwar neben den Darlegungen nach § 540 I 1 auch die nach § 313 I Nr 1–4 erforderlichen Angaben enthält, zu verbinden mit einem zuvor von allen mitwirkenden Richtern unterschriebenen Blatt, das lediglich die Bezeichnung des Gerichts, das Aktenzeichen und die Entscheidungsformel enthält (BGH NJW-RR 07, 1567 [BGH 11.07.2007 - XII ZR 164/03] Tz 9).
Rn 4
Die Unterschrift selbst folgt den Anforderungen, die an bestimmende Schriftsätze zu stellen sind (§ 129 Rn 7). Daher ist die Unterschrift handschriftlich zu leisten; eine Nutzung eines Unterschriftenstempels oder einer digital eingescannten Unterschrift reicht nicht aus. Eine ›Oberschrift‹ ist keine Unterschrift, da ihr der besondere Garantiecharakter fehlt. Die Unterschrift muss wenigstens den Nachnamen enthalten. Bei Namensgleichheit mehrerer Richter müssen die Namen unterscheidbar sein, etwa durch Zusätze des Vornamens oder eines Vornamenkürzels. Sonstige Zusätze eines unterschreibenden Richters sind ebenso entbehrlich wie unschädlich, zB der Hinweis auf Verfahrensfehler; es sei denn, sie stellen die durch Unterschrift zu bezeugende Übereinstimmung des Urteils mit den Beratungsergebnissen in Frage und machen insoweit die Unterschrift wertlos (BGH (1 StrafS) NJW 75, 1177 [BGH 25.02.1975 - 1 StR 558/74]; Wieczorek/Schütze/Rensen Rz 10). Die Unterschrift muss einen charakteristischen Schriftzug darstellen, der die Identität des Unterzeichnenden hinreichend kennzeichnet und die Nachahmung durch einen Dritten erschwert (BGH NJW 88, 713; 94, 55; KG NJW 88, 2807 [KG Berlin 29.04.1988 - 18 WF 2365/88]; Oldbg NJW 88, 2812). Die präzise Lesbarkeit der Unterschrift ist aber nicht verlangt, und zwar erst recht nicht, wenn der Name in Druckschrift darunter vermerkt ist. Es reicht aus, dass der Namen von einem, der den Unterzeichnenden kennt, aus dem Schriftzug herausgelesen werden kann (BGH NJW 88, 713 [BGH 27.10.1987 - VI ZR 268/86]) – daran wird Abs 1 kaum jemals scheitern. Eine bloße Paraphe soll aber nicht genügen (BGH aaO). Entscheidende ist ein individueller Charakter des Schriftzugs, der einem Dritten, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, ermöglicht, dessen Namen aus dem Schriftbild noch herauszulesen. Der Unterzeichnende muss also erkennbar bleiben (BGH NJW-RR 17, 821 [BGH 17.03.2017 - V ZR 70/16] Tz 139.