Prof. Dr. Christoph Thole
Gesetzestext
(1) 1Das Urteil ist von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben. 2Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt.
(2) 1Ein Urteil, das in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, verkündet wird, ist vor Ablauf von drei Wochen, vom Tage der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übermitteln. 2Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser Frist das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe der Geschäftsstelle zu übermitteln. 3In diesem Fall sind Tatbestand und Entscheidungsgründe alsbald nachträglich anzufertigen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.
(3) 1Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Verkündung oder der Zustellung nach § 310 Abs. 3 zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. 2Werden die Prozessakten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. 3Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.
A. Normzweck und Grundlagen.
Rn 1
Die Unterschrift der Richter, die an der Entscheidung (nicht bloß an deren Verkündung) mitgewirkt haben, soll bestätigen, dass der Spruchkörper (nicht notwendigerweise jeder einzelne beteiligte Richter) das Urt, so wie es unterschrieben wird, für verbindlich erachtet und das abgefasste Urt dem Beratungsergebnis entspricht; Änderungen nach Unterschrift sind unzulässig (St/J/Althammer Rz 6). Abs 1 S 2 lässt daher nur dann eine Ausnahme zu, wenn der Richter an der Unterschriftsleistung gehindert ist und der Verhinderungsgrund im Urt angeben wird. Abs 2 will wie § 310 I, II eine rasche und vollständige Abfassung des Urteils erreichen, sodass die Eindrücke aus der Verhandlung dem Gericht bei der Absetzung des Urteils noch gegenwärtig sind, und sich die Parteien zügig über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels ein Bild machen können. Der Verkündungsvermerk des Abs 3 hat keine dem § 165 vergleichbare Beweiskraft, soll aber gleichwohl im Interesse der Rechtssicherheit und fehlerfreie Verfahrensabläufe eine Gewähr dafür liefern, dass das Urt in seiner urschriftlichen Form durch Verkündung oder Zustellung ggü den Parteien existent geworden ist.
B. Voraussetzungen.
I. Unterzeichnung (Abs 1 S 1).
1. Beteiligte Richter.
Rn 2
Die bei der Entscheidungsfällung mitwirkenden Richter müssen das Urt unterschreiben (Abs 1 S 1). Der Kreis der zur Unterschrift verpflichteten Richter bestimmt sich daher nach den Maßgaben des § 309. Ein Richter, der an der Beschlussfassung mitgewirkt hat, aber überstimmt wurde, ist gleichwohl zur Unterschrift verpflichtet; das deutsche Zivilprozessrecht kennt dissenting votes nicht. Die Verweigerung ist auch keine Verhinderung iSd Abs 1 S 2 (BGH NJW 77, 765), sodass die verweigerte Unterschrift wie ein sonstiges Fehlen der Unterschrift zu beurteilen ist (Rn 10). Auf die Unterschriften der das Urt verkündenden Richter kommt es nicht an; zu den Fehlerfolgen Rn 10.
2. Unterschrift unter das Urteil.
Rn 3
Urt iSd Abs 1 S 1 meint die Urschrift des vollständig abgefassten (anders bei Abs 2 S 2) Urteils, da nur durch die auf der Urschrift geleistete Unterzeichnung die Verbindlichkeit dieses Urteils bestätigt wird. Ist das Urt noch nicht unterschrieben, besteht auch das Rechtsschutzinteresse für einen Befangenheitsantrag fort (Sächs LAG, 14.6.10, 3 Sa 666/09 – juris). Die Unterschriftsleistung auf einer Abschrift oder Kopie reicht daher, auch bei Nachholung der Unterschrift (Rn 10), nicht aus. Das Urt muss schon so vorliegen, wie es verbindlich sein soll. Die Unterschrift auf einem Formblatt, das Textbausteine sowie für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte (auswählbare) Anweisungen an die Geschäftsstelle enthält, genügt nicht (Celle FamRZ 90, 419). Das hindert das Gericht aber nicht, sein Urt aus Textbausteinen zusammenzusetzen und sodann notwendige Ergänzungen oder Einschübe vorzunehmen; § 315 ist gewahrt, wenn das Gericht das so zusammengeflickte Urt in seiner als endgültig erachteten Form unterschreibt (Celle FamRZ 90, 419). Handelt es sich um ein Protokollurteil (§ 540 Rn 21), bei dem das Urt im Sitzungsprotokoll enthalten ist, reicht die Unterschrift auf dem Protokoll aus, wenn das Urt iÜ vollständig abgefasst ist (§ 313); es gibt dann nur Protokoll und Urt in einem (St/J/Althammer Rz 3; B/L/H/A/G/Hunke Rz 4; vgl BGH NJW-RR 07, 141 [BGH 16.10.2006 - II ZR 101/05] Tz 7; 07, 1567 Tz 10); umgekehrt genügt Unterschrift des vollständig abgefassten Urteils mit den Angaben nach § 313 I Nr 1–4, wenn es mit dem Protokoll verbunden wird, um so den inhaltlichen Bezug zu den in das Sitzungsprotokoll ›ausgelagerten‹ Darlegungen nach § 540 I 1 herzustellen (BGHZ 158, 37, 41 = NJW 04, 1666; BGH NJW 05, 830, 831); es genügt aber nicht, ein vom Vorsitzenden und vom UdG unterzeichnetes Sitzungsprotokoll, das zwar neben den Darlegungen nach § 540...