Prof. Dr. Christoph Thole
Rn 4
Die Bindung äußert sich in einem Aufhebungs- bzw Änderungs- und einem Abweichungsverbot. Die Bindung betrifft nicht das Urt insgesamt einschließlich von tatsächlichen Feststellungen und rechtlicher Würdigung, sondern nur den eigentlichen Ausspruch selbst (BGH BeckRS 19, 25005 Rz 8), wobei die Entscheidungsgründe aber den Umfang der Bindung konkretisieren können (insb bei Klageabweisung, § 322 Rn 69). Die Bindungswirkung entspricht damit der materiellen Rechtskraft des § 322 (BGH NJW 91, 1116, 1117 [BGH 12.12.1990 - VIII ZB 42/90]; 94, 1222 f; 01, 78, 79 [BGH 13.10.2000 - V ZR 356/99]), auf deren Kommentierung verwiesen wird. Auf den subjektiven Umfang der Rechtskraft (§ 325 Rn 5) kommt es nicht an, da § 318 allein die Bindung des Gerichts beschreibt.
1. Aufhebungs- und Änderungsverbot.
Rn 5
Das Gericht darf die einmal erlassene, auch eine inhaltliche falsche Entscheidung außerhalb des Verfahrens nach §§ 319–321 nicht selbst abändern oder ergänzen (näher Lüke JuS 00, 1042, 1043). Dieses Verbot betrifft sowohl eine eigenmächtige Änderung der ursprünglichen Entscheidung als auch den Erlass einer Entscheidung, in der die Entscheidung aufgehoben oder abgeändert wird (BGHZ 44, 395, 297 zur Rechtsmittelzulassung) oder ohne Bezugnahme auf das ursprüngliche Urt ein neues Urt hinsichtlich desselben Streitgegenstands erlassen wird. Zu besonderen Prozesssituationen unten Rn 10 ff. Die Möglichkeit der Parteien, die Bindung des Gerichts durch Vereinbarung abzubedingen, wird gemeinhin verneint (Baumgärtel MDR 69, 173; ThoPu/Reichold Rz 5; St/J/Althammer Rz 9; Zö/Feskorn Rz 10, aA Schlosser Parteihandeln S 16 ff; vgl Wagner S 340f). Eine eigenmächtige Selbstkorrektur wider den Vertrauensschutz der Parteien wäre aber in einer Entscheidungskorrektur mit Zustimmung der Parteien gerade nicht zu sehen; daher lässt sich das Fehlen der Dispositionsbefugnis allenfalls mit einem übergeordneten, öffentlich-rechtlich geprägten Autoritätsanspruch der gerichtlichen Entscheidung begründen.
Die Bindung entfällt auch nicht dann, wenn das Gericht zwischenzeitlich neue Erkenntnisse gewonnen oder sich die höchstrichterliche Rspr geändert hat (s aber Rn 8). Ist der Urteilsausspruch unklar, sprachlich missraten oder nicht der Zwangsvollstreckung zugänglich, so ändert dies an der Bindung grds nichts (vgl auch St/J/Althammer Rz 10); außerhalb des auf offensichtliche Unrichtigkeiten beschränkten § 319 darf das Gericht keine Klarstellung vornehmen. Ob die Bindung auch dann besteht, wenn das Urt aufgrund der Widersprüchlichkeit und Unklarheit ausnahmsweise nicht der materiellen Rechtskraft fähig ist (§ 322), wird wohl nur für das Abweichungsverbot (Rn 6) zu verneinen sein. Die Parteien können im Streitfalle ggf Feststellungsklage betreffend die Auslegung des Urteils erheben (§ 256). Zulässig sein soll aber eine Urteilsergänzung, die nach der Unterbrechung durch den Tod einer Partei zwischen Urteilserlass und Rechtsmitteleinlegung die Rechtsnachfolge feststellt (RGZ 68, 247, 256).
2. Abweichungsverbot.
Rn 6
Die positive Seite der Bindung besteht darin, dass das Gericht die Entscheidung im weiteren Verlauf des Verfahrens in der Instanz zugrunde legen muss und nicht von ihr abweichen darf. Dieses Abweichungsverbot betrifft praktisch va die nicht instanzabschließenden und den Streitstoff nicht umfassend erledigenden Entscheidungen, dh Teil-, Vorbehaltsurteil (Rn 11) und Zwischen(grund-)urteil. Ob das Gericht zwischenzeitlich zu der Auffassung gelangt ist, seine frühere Entscheidung sei fehlerhaft, ist unerheblich. Eine Aufteilung der durch Zwischenurteil bestimmten Sicherheitsleistung auf die einzelnen Klageansprüche ist unzulässig (Frankf OLGZ 70, 172, 173). Weiteres Vorbringen zu dem Gegenstand der Entscheidung ist unzulässig und für das weitere Verfahren unbeachtlich (§ 303 Rn 8, § 304 Rn 22). Von dem Grundsatz, dass die Bindung nicht die Urteilsbegründung erfasst, ist auch dann keine Ausnahme zu machen, wenn sich aus den Gründen des Urteils ergibt, dass das Gericht in seinem Teilurteil nur wegen des Vorbehalts der Aufrechnung einen weiteren nach seiner Auffassung begründeten Anspruch nicht zuerkannt hatte (BGH NJW 67, 1231, 1232 [BGH 22.02.1967 - VIII ZR 255/64]).
Keine Bindung besteht, wenn das vorangegangene Urt aus prozessualen Gründen nicht ergehen durfte. Ein Zwischenurteil, das nach § 303 nicht zulässig ist, bindet das Gericht daher nicht (BGHZ 8, 383, 385). Die Bindung an ein zulässiges Zwischenurteil bleibt aber bestehen, wenn das Endurteil aufgehoben und das Verfahren an die untere Instanz zurückverwiesen wird, ohne das Zwischenurteil aufzuheben (RGZ 35, 407, 408). Bei einer Stufenklage erfasst die Bindung einer Verurteilung zur Auskunft oder zur eidesstattlichen Versicherung nicht den Rechtsgrund des Hauptanspruchs (BGHZ 107, 236, 242 = NJW 89, 2821). Stellt sich nachträglich heraus, dass kein Hauptanspruch besteht und deshalb auch kein Auskunftsanspruch gegeben war, so weist das Gericht die Klage gleichwohl ohne Aufhebung der Urteile auf erster und zweiter Stufe ab. Darüber hinaus kann die Bindu...