Prof. Dr. Christoph Thole
Gesetzestext
Das Gericht ist an die Entscheidung, die in den von ihm erlassenen End- und Zwischenurteilen enthalten ist, gebunden.
A. Normzweck und Grundlagen.
Rn 1
§ 318 dient der Rechtssicherheit. Das vom Gericht erlassene Urt wird mit der Verkündung oder Zustellung (§ 310 III) nach außen wirksam und verbindlich. Mit dem Geltungsanspruch des Urteils als einer staatlichen Entscheidung, auf deren Verbindlichkeit sich die Parteien einrichten und einrichten können müssen, wäre es nicht vereinbar, wenn das Gericht seinen Ausspruch jederzeit im Wege einer Selbstkorrektur abändern oder aufheben könnte. Daher schreibt § 318 die Bindung des Gerichts an die eigene Entscheidung vor. Über die Bindung anderer Gerichte verhält sich § 318 nicht.
Die Bindungswirkung ist von der formellen Rechtskraft der Entscheidung unabhängig und tritt ihr vorgelagert bereits mit dem Erlass der Entscheidung ein. Sie ist nicht identisch mit der materiellen Rechtskraft, die auch den Richter eines zweiten Prozesses bindet (St/J/Althammer Rz 1); gleichwohl stimmen die Maßstäbe der Bindungswirkung innerhalb der Instanz mit den Vorgaben der materiellen Rechtskraft überein (BGHZ 51, 131, 135, 138; unten Rn 4). Wegen der ausdrücklichen Verankerung in § 318 ist es daher müßig zu entscheiden, ob der Eintritt der materiellen Rechtskraft auch eine Bindung des erlassenden Gerichts bedingt (vgl Rn 15 zu Beschlüssen), sodass es § 318 insoweit nicht bzw nur in der Vorverlagerungswirkung auf den Erlasszeitpunkt bedürfte. Nach § 318 darf das Gericht die Entscheidung nicht abändern oder aufheben und muss sie im weiteren Verfahren zu Grunde legen, solange es in derselben Instanz mit der Sache betraut ist. Dem öffentlichen Interesse an einer Berichtigung fehlerhafter Entscheidungen, das durch § 318 zurückgedrängt wird, ist durch das Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsverfahren Rechnung getragen, das es den Parteien in die Hand gibt, ob sie ein Rechtsmittel einlegen (zur ökonomischen Analyse dieser Befugnis Eger/Schäfer/Wagner S 161 ff). Das Verfahren nach den §§ 319–321 lässt einzelne Ergänzungen und technische Korrekturen zu, die den Autoritätsanspruch des Urteils nicht in Frage stellen. § 321 erlaubt Ergänzungen nur insoweit, als ein Antrag übergegangen und gerade nicht zum Gegenstand der Entscheidung gemacht worden ist.
B. Voraussetzungen.
I. Gericht.
Rn 2
Gebunden ist das Gericht, dh der Spruchkörper, der das End- oder Zwischenurteil erlässt. Das schließt die Bindung des Kollegiums an Entscheidungen des Einzelrichters nach Rückübertragung ein (KG JW 25, 1799 Nr 3; Zö/Feskorn Rz 13; St/J/Althammer Rz 5). Ein Wechsel in der Besetzung des Kollegiums hebt die Bindung nicht auf. § 318 gilt für die Gerichte jeder Instanz. Von § 318 zu unterscheiden ist die Bindung des Rechtsmittelgerichts an Entscheidungen der unteren Gerichte und umgekehrt die Bindung des unteren Gerichts an die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts (unten Rn 8). Zu § 318 soll auch die Bindung des Instanzgerichts an eigene Entscheidungen nach Zurückverweisung gehören (Rn 8).
Die Bindung gilt für End- und Zwischenurteile (§§ 300, 303), darunter auch für Grundurteile (§ 304). Nichturteile, die den bloßen Schein eines Urteils schaffen (vor §§ 300 ff Rn 11), binden nicht. Nicht lediglich fehlerhafte, sondern wirkungslose Urteile (vor §§ 300 ff Rn 12) sind dagegen von § 318 erfasst, allerdings nur in Gestalt des Aufhebungs- und Änderungsverbots (Rn 5), und nicht iSd Abweichungsverbots (in diese Richtung auch Musielak/Musielak Rz 9), da das Urt entsprechend auch nicht der materiellen Rechtskraft fähig wäre (§ 322 Rn 18). Zu beachten ist, dass auch Teilurteile (§ 301) Endurteile sind (BGH NJW 67, 1231 [BGH 22.02.1967 - VIII ZR 255/64]; § 301 Rn 1); die Bindung beim Teilurteilen leuchtet auch sachlich ein, da Teil- und Schlussurteil nicht zwei voneinander unabhängigen Endurteilen gleichgestellt werden können (Musielak/Musielak Rz 5). Zum Vorbehaltsurteil unten Rn 11 und die Erläuterungen zu § 302.
II. Erlass.
Rn 3
Die Bindung tritt ab Erlass ein, also mit Verkündung oder Zustellung (§ 310 III) (BGH NJW 09, 1422 [BGH 05.03.2009 - IX ZR 90/06] Tz 3 zur FGO: frühestens mit Bekanntgabe). In den Fällen des § 310 III reicht dafür anders als bei § 317 Rn 3 die Zustellung an eine Partei aus (BGHZ 32, 370, 375). Bei einem VU gem § 331 III beginnt die Bindung unter diesen Prämissen erst mit dieser ersten Zustellung, nicht schon mit Übergabe an Geschäftsstelle (zum Meinungsstand mwN, aber im Erg offen Stuttg 26.9.11 – 5 U 85/11 – juris = Die Justiz 12, 39; aA LG Stuttgart AnwBl 81, 197, 198; Rau MDR 01, 794, 795; B/L/H/A/G/Hunke Rz 4); zum Verfahren nach § 495a Schäfer NJOZ 15, 601.
III. Bindung.
Rn 4
Die Bindung äußert sich in einem Aufhebungs- bzw Änderungs- und einem Abweichungsverbot. Die Bindung betrifft nicht das Urt insgesamt einschließlich von tatsächlichen Feststellungen und rechtlicher Würdigung, sondern nur den eigentlichen Ausspruch selbst (BGH BeckRS 19, 25005 Rz 8), wobei die Entscheidungsgründe aber den Umfang der Bindung konkretisieren können (insb bei Klageabweisung, § 322 Rn 69). Die Bindungswirkung e...