Prof. Dr. Christoph Thole
Rn 4
Offenbar ist die Unrichtigkeit, wenn sie sich aus dem Zusammenhang gerade dieses Urteils bzw aus dem Urt selbst (BGHZ 127, 74, 80 f, zB falsche Parteibezeichnung, Rn 6), oder zumindest aus den Vorgängen bei Erlass und Verkündung ohne weiteres, nicht notwendigerweise sofort erkennbar, ergibt (BGHZ 20, 188, 192; NJW-RR 01, 61; BGHR 03, 1168, 1169; BGH NJW 07, 518; BGH NJW 16, 2754 Tz 4; Ddorf NJW-RR 15, 360). Die Erkennbarkeit soll sich anhand der Perspektive eines Außenstehenden, nicht lediglich eines Rechtskundigen bestimmen (Runge BB 77, 471, 472; B/L/H/A/G/Hunke Rz 11). Das kann aber nicht bedeuten, dass der Fehler für einen beliebigen Dritten, der mit dem Streitstoff nicht vertraut ist, gleichsam auf den ersten Blick erkennbar sein muss (Musielak/Musielak Rz 7; St/J/Althammer Rz 10; eng aber BGH NJW 85, 742; NJW-RR 01, 61 [BGH 25.02.2000 - V ZR 206/99] [›ohne weiteres deutlich‹]; BAG NJW 60, 1635 [BAG 05.05.1960 - 2 AZR 511/58]). Maßgebend ist stattdessen richtigerweise die Perspektive einer sachkundig beratenen Verfahrenspartei, die sich des Vorliegens eines Fehlers anhand aller ihr verfügbaren Unterlagen und Informationsquellen (Prozessakten, Protokolle, Aufzeichnungen und Hinweisen des RA) vergewissern kann (so auch Musielak/Musielak Rz 5; aA Ddorf BB 77, 471, 472; Zö/Feskorn Rz 6), denn um die Feststellung des für die Parteien bindenden Prozessergebnisses geht es gerade. Eine Unrichtigkeit, die sich nur aus gerichtsinternen Vorgängen und nach einer weiteren Beweisaufnahme herleiten lässt, reicht nicht (BGHZ 78, 22, 24; NJW 85, 742; Ddorf NJW-RR 15, 360). Die Unrichtigkeit eines Rechenfehlers muss aber gleichsam nicht sofort erkennbar sein, sondern kann sich auch erst aus längerem Nachrechnen und einer Überprüfung der Gesamtrechnung ergeben (BGH NJW 95, 1033, 1034 [BGH 09.11.1994 - XII ZR 184/93]; Hambg MDR 78, 583, wohl auch B/L/H/A/G/Hunke Rz 11), wobei allerdings feststehen muss, dass das Gericht in Wahrheit den richtig ermittelten Betrag zusprechen oder aberkennen wollte (Zö/Feskorn Rz 6). Außerhalb des Urteils liegende Umstände können nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden (München BeckRS 15, 13776 Tz 16). Hat der Erstrichter die Sache sachlich geprüft und eine Unrichtigkeit (fälschlich) verneint, so handelt es sich nicht um eine offenbare Unrichtigkeit (BGHZ 106, 370, 374). Ist der Tenor ungenau, so liegt darin noch keine Unrichtigkeit; insoweit kann eine Klage auf Feststellung des Urteilsinhalts erhoben werden, wenn eine Vollstreckung an der Unklarheit scheitert (BGH NJW 72, 2268 [BGH 25.09.1972 - VIII ZR 81/71]).
Rn 5
In bestimmten Fällen verzichtet die Rspr auf die Evidenz in eben beschriebenen Sinne, sondern lässt es genügen, dass sich die Unrichtigkeit aus anderen Umständen als den Vorgängen bei Erlass und Verkündung ergibt, so bei Urteilen ohne Entscheidungsgründe (§ 313a I 2, 1. Alt), wenn das ›Urteil so nicht gewollt war‹ (BGH NJW-RR 02, 712, 713). Bei Berichtigung unrichtiger Angaben über die an der Beratung und Entscheidung Mitwirkenden reicht also im Ergebnis die gerichtsinterne Erkennbarkeit (BGHZ 18, 350, 351; BGH NJW-RR 02, 712, 713; Zö/Feskorn Rz 7). Nach BAG NJW 02, 1142 soll es nicht genügen, dass sich die falsche Verlautbarung des Tenors (Klageabweisung statt Zuspruch) erst aus den später abgefassten Entscheidungsgründen ergibt, weil in casu niemand außer den beteiligten Richtern ersehen könne, ob schon bei der Urteilsverkündung ein Widerspruch von Erklärtem und Gewolltem vorlag. Generell sollte man insoweit nicht kleinlich sein und allein wegen des der Urteilsverkündung zeitlichen Nachfolgens der Entscheidungsgründe nicht deren Berücksichtigungsfähigkeit ausschließen (vgl BGH NJW 95, 1033). Die Ersichtlichkeit aus den Entscheidungsgründen oder aus Vorgängen beim Erlass des Urteils ist für die Evidenz von Tenorierungsfehlern aber regelmäßig unverzichtbar (BGHZ 78, 22, 23; 127, 74, 80, zur Rechtsmittelzulassung aber Rn 8). Natürlich darf das Gericht die Entscheidungsgründe nicht bewusst so schreiben, dass sie in Widerspruch zum (mittlerweile bereuten) Urteilsausspruch stehen, um dann berichtigen zu können.