Prof. Dr. Christoph Thole
Gesetzestext
(1) Enthält der Tatbestand des Urteils Unrichtigkeiten, die nicht unter die Vorschriften des vorstehenden Paragraphen fallen, Auslassungen, Dunkelheiten oder Widersprüche, so kann die Berichtigung binnen einer zweiwöchigen Frist durch Einreichung eines Schriftsatzes beantragt werden.
(2) 1Die Frist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. 2Der Antrag kann schon vor dem Beginn der Frist gestellt werden. 3Die Berichtigung des Tatbestandes ist ausgeschlossen, wenn sie nicht binnen drei Monaten seit der Verkündung des Urteils beantragt wird.
(3) 1Das Gericht entscheidet ohne Beweisaufnahme. 2Bei der Entscheidung wirken nur diejenigen Richter mit, die bei dem Urteil mitgewirkt haben. 3Ist ein Richter verhindert, so gibt bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung die Stimme des ältesten Richters den Ausschlag. 4Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt. 5Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. 6Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. 7Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.
(4) Die Berichtigung des Tatbestandes hat eine Änderung des übrigen Teils des Urteils nicht zur Folge.
A. Normzweck und Grundlagen.
Rn 1
Zur Thematik vgl Weitzel. § 320 steht im Zusammenhang mit der Beweiskraft des Tatbestands für das Parteivorbringen (§ 314) und der Beurkundung des sonstigen Prozessstoffs. Nur über die Tatbestandsberichtigung (nicht über die Gehörsrüge [BGH NZI 10, 530 [BGH 15.04.2010 - IX ZB 175/09] Tz 7]) kann verhindert werden, dass unrichtig beurkundeter Prozessstoff und Parteivortrag zur Grundlage der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts gemacht wird; außerdem kann dadurch eine Ergänzung des Urteils gem § 321 vorbereitet werden (vgl BAG NZA 08, 1028, 1030 [BAG 26.06.2008 - 6 AZN 1161/07]; BGH BeckRS 15, 2574; Stuttg BeckRS 19, 24327 Rz 25). Das unbewusste Übergehen eines Anspruchs ist durch § 321 zu korrigieren, die Nichtaufnahme in den Tatbestand über § 320 (Stuttg BeckRS 19, 24327 Rz 25). Mit einem Rechtsmittel kann demgegenüber nicht die Berichtigung des Tatbestands erzielt, sondern nur das Urt selbst angegriffen werden (Karlsr NJW-RR 03, 778, 779 [OLG Karlsruhe 20.02.2003 - 12 U 210/02]). Über seine Beweiskraft ist der Tatbestand für die tatsächlichen Grundlagen des Rechtsmittelverfahrens von Bedeutung (vgl BGH NJW-RR 07, 1434, 1435 [BGH 08.01.2007 - II ZR 334/04]). Seit der BGH die Bindung des Berufungsgerichts an den erstinstanzlichen Stoff wieder auflockert (§ 529 Rn 5, § 531 Rn 9 ff) und den § 314 im Wesentlichen nur noch auf die positive Beweiskraft für das Parteivorbringen beschränkt (§ 314 Rn 4), ist die Notwendigkeit für Tatbestandsberichtigungsanträge allerdings gesunken (Gehrlein MDR 03, 421, 427; anders Wach/Kern NJW 06, 1315, 1317), da das Berufungsgericht das schriftsätzliche erstinstanzliche Vorbringen auch ohne eine in den Tatbestand aufgenommene Verweisung auf die Schriftsätze würdigen muss. Ein Antrag nach § 320 kommt daher va in Betracht, wenn ein im Tatbestand übergangenes Vorbringen in den Schriftsätzen nicht enthalten war (Stöber MDR 06, 5 f; St/J/Althammer Rz 3) oder streitiges Vorbringen als unstr behandelt wurde (Karlsr NJW-RR 03, 891, 892 [OLG Karlsruhe 20.02.2003 - 12 U 211/02]) oder der Tatbestand den Anforderungen des § 313 II nicht genügt (vgl aber umgekehrt: Oldbg NJW 89, 1165; AG Frankfurt NJW 02, 2328 [AG Frankfurt am Main 31.05.2002 - 33 C 86/01 50]: keine Erweiterung des Tatbestands notwendig, wenn § 313 II gewahrt ist). Zur Einführung mit Hinweisen für die Praxis Nägele ArbRB 06, 378. Zur Änderung aufgrund Art 2 G v 12.12.19 mit Wirkung zum 1.1.20 BGBl I 19 S 2633 s.u. Rn 5.
B. Voraussetzungen.
I. Berichtigungsgegenstand (Abs 1).
Rn 2
§ 320 erfasst allein die Berichtigung des Tatbestands (RGZ 122, 332, 334: nicht Tenor und Entscheidungsgründe), wozu aber auch die in den Entscheidungsgründen ›versteckten‹ Feststellungen zum Tatsachenstoff gehören (BGH NJW 94, 517, 519 [BGH 07.12.1993 - VI ZR 74/93]; 97, 1931; § 314 Rn 2; BAG NZA-RR 15, 255, 256 [BAG 19.11.2014 - 5 AZR 121/13] Tz 12), und zwar auch bei Urteilen, denen überhaupt ein gesonderter Tatbestand fehlt (BGH NJW 97, 1931; aA ThoPu/Reichold Rz 2; Köln OLGZ 89, 78) oder bei Bezugnahme nach § 540 Abs 1 Nr 1 (BGH ZIP 11, 368 Tz. 13) Ebenso wenig erfasst ist das wiedergegebene Prozessgeschehen (BGH NJW 83, 2030, 2032; Zö/Feskorn Rz 6), allerdings können nicht protokollierte, sondern in den Tatbestand aufgenommene Aussagen von Zeugen und Sachverständigen berichtigt werden (Celle NJW 70, 53 f; krit Musielak/Musielak Rz 2). Die Berichtigung eines Beschlusses nach § 320 ZPO kommt nicht in Betracht (Hamm BeckRS 15, 13338 Tz 4).
Inhaltlich erstreckt sich die Berichtigung auf Unrichtigkeiten, die nicht unter § 319 fallen. Abs 1 statuiert insoweit ein Exklusivverhältnis ggü § 319. Daher können Divergenzen zwischen Tatbestand und Entscheidungsgründen nur über § 319 oder im Instanzenzug bereinigt...