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Auf der Grundlage der prozessualen Rechtskrafttheorie wirkt die materielle Rechtskraft einer Entscheidung in einem späteren Prozess als eine negative Prozessvoraussetzung. Nach rechtskräftiger Entscheidung ist damit nicht nur eine erneute Entscheidung über denselben Streitgegenstand, sondern bereits eine erneute Klage unzulässig und durch Prozessurteil abzuweisen (BGHZ 157, 47, 50 = NJW 04, 1252, 1253; Hamm MDR 16, 114). Ausländische Entscheidungen entfalten im Inland diese Wirkung, sofern sie anerkannt werden (Ddorf ZIP 15, 794; MüKoZPO/Gottwald § 322 Rz 35; Einzelheiten bei § 328). Entscheidende Frage ist daher im zweiten Prozess stets, ob der Streitgegenstand mit dem des ersten Prozesses identisch ist, was sich nach dem dortigen prozessualen Anspruch und dem ihm zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt bestimmt (BGH NJW 03, 3058 [BGH 26.06.2003 - I ZR 269/00]; NJW-RR 07, 1433, 1434). Bei Abweichungen ist darauf abzustellen, ob mit der neuen Klage im Kern das gleiche erreicht werden soll wie im Vorprozess (BGH NJW-RR 87, 683). Dies ist etwa zu bejahen bei zwei gegen denselben Beschl der Wohnungseigentümer gerichteten Anfechtungsklagen (BGH NJW 13, 65). Die Rechtskraft einer klageabweisenden Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch wegen eines Beratungsfehlers in einem Kapitalanlagegespräch steht einer erneuten Klage wegen eines anderen Fehlers in demselben Beratungsgespräch entgegen, da diese einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt (BGHZ 198, 294 = NJW 14, 314). Gleiches gilt bei Prospektfehlern in demselben Prospekt (München WM 14, 743) bzw der Geltendmachung von Prospekthaftungsansprüchen und deliktischen Ansprüchen, die auf einen unrichtigen Prospekt gestützt werden (BGH NJW 18, 1259 [BGH 21.11.2017 - II ZR 180/15]). Anders ist die Situation hingegen dann zu beurteilen, wenn die mit mehreren Klagen geltend gemachten Pflichtverletzungen verschiedene, gesondert zu beurteilende Tätigkeiten des Architekten im Rahmen einer Bauleitung (BGH NJW-RR 08, 762 [BGH 24.01.2008 - VII ZR 46/07]) oder unterschiedliche Verfahrensstadien einer anwaltlichen Beratung betreffen (BGH NJW-RR 08, 1235 [BGH 13.03.2008 - IX ZR 136/07]) und die erste Klage auf eine bestimmte Pflichtverletzung beschränkt ist. Nicht höchstrichterlich geklärt ist bislang die Reichweite der Rechtskraft des klageabweisenden Urteils im Arzthaftungsprozess. Ob hier das gesamte vorgetragene Behandlungsgeschehen als streitgegenständlich anzusehen (Saarbr MDR 00, 1317 [OLG Saarbrücken 12.07.2000 - 1 U 1082/99-263]), oder jedenfalls bei Klagen gestützt auf unzureichende ärztliche Aufklärung einerseits und fehlerhafter Behandlung andererseits keine Streitgegenstandidentität anzunehmen ist (BGH NJW-RR 97, 414, 415 [OLG Düsseldorf 07.10.1996 - 3 Wx 400/96] – obiter dictum), ist nicht abschließend geklärt (dazu Althammer S 498).

Einer auf eigenes Recht gestützten Klage steht zB die Rechtskraft eines Urteils zwischen denselben Parteien nicht entgegen, in dem die nur auf abgetretenes Recht gestützte Klage abgewiesen worden ist, denn hierbei handelt es sich nicht um verschiedene rechtliche Begründungen desselben prozessualen Anspruchs, sondern um verschiedene Streitgegenstände (BGH NJW 05, 2004; NJW 08, 2922 [BGH 23.07.2008 - XII ZR 158/06]). Keine Identität des Streitgegenstandes besteht auch zwischen der Klage des Vermieters auf Betriebskostenvorauszahlungen und der Nachforderungsklage nach deren Abrechnung (LG Köln WuM 14, 25 [LG Köln 08.05.2013 - 9 S 278/12]). Ebenso wenig führt eine Klage des Mieters auf Rückzahlung der Vorauszahlungen zu einer entgegenstehenden Rechtskraft gegenüber einer anschließenden Klage des Vermieters nach deren Abrechnung (BGH NJW 05, 1499 [BGH 09.03.2005 - VIII ZR 57/04]).

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