Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
Rn 74
Für die Aufrechnung des Kl gilt § 322 II seinem Wortlaut nach nicht. Die Aufrechnung im Fall der Widerklage bildet keine Ausnahme, da der Kl sich hierbei in der Rolle des Bekl befindet und § 322 II daher unmittelbar anwendbar ist. Ausnahmsweise wird § 322 II aber auf die Aufrechnung des Kl dann entsprechend angewendet, wenn sich der Kl aus der Position des Schuldners gegen die titulierte Forderung zur Wehr setzt (BGHZ 89, 349, 352 = NJW 84, 1356; BGH NJW 15, 955, 959; Musielak/Voit/Musielak § 322 Rz 78f). In diesen Fällen erfordert der Schutz des Aufrechnungsgegners vor erneuter Inanspruchnahme mit der Gegenforderung eine rechtskräftige Entscheidung. Erklärt der Kl bspw iRd Vollstreckungsgegenklage die Aufrechnung, dann erfasst die Rechtskraft eines die Vollstreckungsgegenklage abweisenden Urteils auch die Zu- oder Aberkennung von Gegenforderungen, mit denen der Kl. gegen die titulierte Forderung aufgerechnet hat (BGHZ 48, 356, 358 = NJW 68, 156; BGHZ 125, 351 = NJW 94, 2769, 2770; NJW-RR 06, 1628, 1629; NJW 15, 955; umfassend dazu Thole ZZP 124 [2011], 45). Gleiches gilt für den Fall, dass der Kl nach Aufrechnung mit einer Gegenforderung negative Feststellungsklage darauf erhebt, dass die Forderung des Bekl durch die Aufrechnung erloschen ist (BGH NJW 92, 982, 983).
Rn 75
Über diese Sonderfälle hinaus hält die Rspr eine entsprechende Anwendung des § 322 II bei einer eigenen Aufrechnung des Kl aus der Position des Gläubigers der den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Forderung nicht für möglich (BGHZ 89, 349, 352 = NJW 84, 1356). In diesem Fall sei eine Einbeziehung ihrer Gegenforderung in die Rechtskraftwirkung mit dem Zweck des § 322 II, der nur den Interessen des Aufrechnungsgegners diene, nicht vereinbar. Denn dieser wird vor einer erneuten Inanspruchnahme mit der Aufrechnungsforderung des Kl durch die Abweisung der Klage und deren Rechtskraftwirkung nach § 322 I geschützt (BGH NJW 92, 382, 383 [BGH 20.08.1991 - 1 StR 321/91]; Tiedtke NJW 92, 1473, 1474; Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rz 254; ThoPu/Reichold § 322 Rz 44). Hiergegen wird in der Literatur zu Recht eingewendet, dass § 322 II vorrangig wiederholte und insb widersprüchliche Entscheidungen über die Gegenforderung verhindern und die Gleichbehandlung von Kl und Bekl sicherstellen soll (Foerste NJW 93, 1183, 1184). Zudem wird verkannt, dass es bei einer Aufrechnung durch den Kl zwar keiner Erstreckung der Rechtskraft auf die erloschene Gegenforderung bedarf, je nach Fallgestaltung aber einer Rechtskrafterstreckung auf die Hauptforderung des Bekl, gegen die der Kl aufrechnet, analog § 322 II. Wird die Klage abgewiesen, weil der Bekl sich darauf beruft, dass die Klageforderung erloschen ist, weil der Kl mit ihr in einem anderen Verfahren bereits aufgerechnet hat, ist auch eine Rechtskrafterstreckung zugunsten des abgewiesenen Kl zu bejahen (Zeuner NJW 92, 2870 [BGH 05.06.1992 - BLw 10/91]; Foerste NJW 93, 1183 [BGH 04.12.1991 - VIII ZR 32/91]; Musielak § 322 Rz 79 ff; MüKoZPO/Gottwald § 322 Rz 203; Zö/G.Vollkommer § 322 Rz 24).