Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
Rn 45
Eine über den in § 325 unmittelbar geregelten Fall der Rechtsnachfolge hinausgehende Erstreckung der subjektiven Rechtskraft wird weiterhin dann anerkannt, wenn dass das materielle Recht eine Rechtskrafterstreckung auf einen am Prozess nicht beteiligten Dritten gebietet. Umstritten ist dabei, ob es ausreicht, wenn dem Urt ein für Dritte präjudizielles Rechtsverhältnis zugrunde liegt oder ob darüber hinaus auch eine objektive Identität des Streitgegenstandes verlangt werden muss, dass also die Parteien um dasselbe Recht streiten wie die Parteien des Vorprozesses (R/S/G § 156 Rz 23). Würde man eine objektive Identität des Streitgegenstandes verlangen, so fände keine Rechtskrafterstreckung des zwischen Hauptschuldner und Gläubiger ergangenen Urteils auf den Bürgen statt, da der Gläubiger vom Hauptschuldner nicht dieselbe Leistung fordert wie vom Bürgen (Völzmann S 99). Da aufgrund der akzessorischen Haftung des Bürgen eine Rechtskrafterstreckung zu Gunsten des Bürgen allg angenommen wird (s Rn 46), erscheint dieses Abgrenzungskriterium daher nicht als tragfähig. Bejaht wird aber eine Rechtskrafterstreckung aus zivilrechtlichen Gründen nur dort, wo sich eine solche Anordnung entweder ausdrücklich oder aber aus dem Sinn und Zweck einer Vorschrift ergibt, die ihrerseits Inhalt und Umfang der Bindungswirkung näher ausgestaltet (BGH NJW-RR 06, 1628, 1629 [BGH 28.06.2006 - XII ZB 9/04]).
1. Anwendungsfälle.
Rn 46
Nach § 768 I 1 BGB kann sich der Bürge darauf berufen, dass die Forderung in dem zwischen dem Hauptschuldner und dem Gläubiger geführten Prozess rechtskräftig aberkannt worden ist (BGH NJW 70, 279; BGH NJW-RR 05, 338, 339 [BGH 08.11.2004 - II ZR 362/02]). Gleichermaßen verbindlich ist die im Prozess zwischen Gläubiger und Schuldner ergangene Entscheidung auch für den Eigentümer des hypothekarisch belasteten Grundstücks nach § 1137 I BGB und den Verpfänder einer beweglichen Sache nach § 1211 I BGB (Musielak/Voit/Musielak § 325 Rz 15; St/J/Althammer § 325 Rz 100). Ihnen geht jedoch ebenso wie dem Bürgen durch die Rechtskrafterstreckung nicht das Recht verloren, nach §§ 768 II, 1137 II, 1211 II BGB Einwendungen gegen die Forderung zu erheben (BGHZ 76, 222, 230 = NJW 80, 1460). Der BGH versagt dem Bürgen allerdings die Berufung auf die Einrede der Verjährung dann, wenn sich der Hauptschuldner erfolglos auf die Einrede der Verjährung berufen hat und aufgrund des daraufhin gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Urt eine neue 30-jährige Verjährungsfrist in Gang gesetzt wird (BGHZ 210, 348 = NJW 16, 3158 Rz 21 ff). Zur Begründung wird dabei auf die präjudizielle Wirkung von nicht in Rechtskraft erwachsenden Tatsachenfeststellungen abgestellt (vgl dazu § 322 Rn 33). Da dem Hauptschuldner die Einrede nicht mehr iSd § 768 I 1 BGB zustehe, könne der Bürge diese auch nicht mehr geltend machen (BGH NJW 16, 3158 Rz 19; zust. Lange BKR 17, 447, 449; Riehm JuS 17, 166 [BGH 14.06.2016 - XI ZR 242/15]; abl. Leitmeier NJW 17, 1273; Mayer JZ 17, 317). Dabei wird verkannt, dass es bei § 768 I 1 BGB um das materielle Innehaben der Einrede geht, nicht darum, ob dem Hauptschuldner das Recht prozessual aberkannt wurde. Ansonsten wird der Bürge an einen falschen oder unvollständigen Tatsachenvortrag im Vorprozess gebunden, ohne dass er diesen beeinflussen konnte. Eine solche Abweichung von den Grundsätzen der Nebenintervention bzw der Streitverkündung zu Lasten des Bürgen lässt sich mit der materiell-rechtlichen Norm des § 768 I 1 BGB nicht rechtfertigen. Der Terminus der dem Hauptschuldner ›zustehenden‹ Einreden ist daher teleologisch richtig so zu verstehen, dass der Bürge solche Einreden geltend machen kann, die dem Hauptschuldner im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung über die Hauptforderung materiell-rechtlich zustanden. Ein solches Verständnis trägt dem Akzessorietätsgrundsatz des § 767 I BGB Rechnung und belässt dem Bürgen den Einwand mangelhafter Prozessführung des Hauptschuldners.
Rn 47
Nach § 129 HGB erstreckt sich die Rechtskraft eines gegen die Gesellschaft ergangenen Urteils auf die Gesellschafter (BGH NJW-RR 93, 1266 [BGH 15.06.1993 - XI ZR 133/92]). Weiterhin kann sich der Gesellschafter grds auf ein Urt berufen, das zu Gunsten einer OHG oder KG ergangen ist (MüKoZPO/Gottwald § 325 Rz 71; Zö/G.Vollkommer § 325 Rz 35). Umgekehrt erstreckt sich aber die Rechtskraft eines im Prozess gegen die Gesellschafter ergangenen Urteils nicht auf die Gesellschaft. Eine solche Rechtskrafterstreckung lässt sich weder aus § 129 I HGB noch aus § 736 herleiten (BGH NJW 11, 2048 [BGH 22.03.2011 - II ZR 249/09] dazu Weller ZZP 124 [2011], 491 ff; Stangl NZG 16, 568 ff. Ebenso gegen die Erstreckung der Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils gegen den Gesellschafter auf die GmbH BGH GRUR 12, 540). Ein im Gesellschafterprozess ergangenes rechtskräftiges Urt über die Grundlage des Gesellschaftsverhältnisses ist für die Gesellschaft maßgebend (BGHZ 48, 175 = NJW 67, 2159). Wird eine GmbH nach § 61 GmbHG durch Urt aufgelöst, erwächst diese Entscheidung auc...