Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
Rn 23
Die Anerkennung ist nach § 328 I Nr 4 ausgeschlossen, wenn sie in prozessualer oder materiell-rechtlicher Hinsicht gegen den ordre public verstößt. Das ist der Fall, wenn die Anerkennung zu einem Ergebnis führen würde, das so offensichtlich mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist, dass es untragbar wäre, der Entscheidung zur Wirkung im Inland zu verhelfen. Dabei mag der angewandte Rechtssatz selbst zwar eklatant gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstoßen; die darauf aufbauende Entscheidung wird aber gleichwohl anerkannt, solange ihre Wirkungen im Inland nicht gerade wegen dieses Verstoßes als untragbar angesehen werden müssen. Der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung ist im Vergleich zur entsprechenden Regelung des Kollisionsrechts (Art 6 EGBGB) noch zurückhaltender anzuwenden, weil die Anwendung eines dem deutschen Recht völlig widersprechenden Rechtssatzes durch ein deutsches Gericht eher als untragbar angesehen werden kann, als die bloße Anerkennung einer auf einem derartigen Rechtssatz fußenden ausl Entscheidung (BGHZ 98, 70, 74 = NJW 86, 3027; BGHZ 138, 331, 334 = NJW 98, 2358). Die Anerkennung kann aber nicht dazu führen, dass dem Urteil im Inland weitergehende Wirkungen zuerkannt werden als im Gerichtsstaat (unzutreffend daher EuGH – Gothaer/Samskip GmbH, EuZW 13, 60; dazu Bach EuZW 13, 56; Mansel/Thorn/Wagner IPrax 12, 1, 19).
1. Wesentliche Grundsätze.
Rn 24
Zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts gehören die Fundamente und Prinzipien unserer Rechtsordnung, also ihre Grundgedanken und die damit verbundenen Gerechtigkeitsvorstellungen (BGHZ 50, 370, 375f). Damit sind Merkmale der Rechtsordnung gemeint, die so grds sind, dass sie selbst dem Gesetzgeber nur bedingt zur Disposition stehen. Sie sind nicht mit dem zwingenden Recht zu verwechseln, das lediglich der Parteidisposition entzogen ist (BGHZ 123, 268, 270 = NJW 93, 3269). Bei Verfahrensverstößen liegt ein solcher Verstoß gegen den prozessualen ordre public nur dann vor, wenn die Entscheidung nicht mehr als in einer geordneten, rechtsstaatlichen Weise ergangen angesehen werden kann (BGH VersR 92, 1281, 1284 [BGH 04.06.1992 - IX ZR 149/91]; BFH NJW 11, 2158, 2159 [BFH 03.11.2010 - VII R 21/10]). In Widerspruch zum materiell-rechtlichen ordre public stünde eine ausl Entscheidung zB dann, wenn sie dem Kindeswohl in einer Weise widersprechen würde, die nach den grundlegenden deutschen Rechtsvorstellungen nicht hingenommen werden könnte (BGH NJW 80, 520; BGHZ 88, 113 = NJW 83, 2775). Das Fehlen schriftlicher Urteilsgründe begründet für sich noch keinen Verstoß gegen den ordre public, erschwert aber die Nachprüfbarkeit der Vereinbarkeit mit der Folge, dass Unsicherheiten zu Lasten des Vollstreckungsgläubigers gehen (BGH NJW 09, 3306, 3309 f [BGH 26.08.2009 - XII ZB 169/07]; Zö/Geimer § 328 Rz 257).
2. Grundrechte.
Rn 25
Das Gesetz nennt exemplarisch für die wesentlichen Grundsätze die Grundrechte, zu denen nicht nur die Grundrechte des GG, sondern auch die der jeweiligen Landesverfassungen und die Menschenrechte des Völkerrechts zu rechnen sind. Soweit die deutsche öffentliche Gewalt durch die Grundrechte gebunden ist (Art 1 III GG), darf sie auch keinem Grundrechtsverstoß durch eine ausl Hoheitsgewalt zur Wirkung im Inland verhelfen. Insbesondere Verstöße gegen die Verfahrensgrundrechte (Art 101 ff GG), wie namentlich des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 I GG), können zu einer Versagung der Anerkennung führen: etwa wenn ein ordnungsgemäß bevollmächtigter Prozessvertreter allein deshalb nicht angehört wird, weil der persönlich geladene Angeklagte nicht erschienen ist (EuGHE 00, I-1935, Rz 40/44 – Krombach). Auch inhaltlich können Grundrechte betroffen sein, wenn die Entscheidung auf ausl Recht beruht, das Grundrechte verletzt.
3. Grenzen.
Rn 26
Allerdings ist nicht jeder ausl Entscheidung die Anerkennung zu versagen, weil sie, wenn sie von einem deutschen Gericht getroffen worden wäre, wegen eines Verstoßes gegen Grundrechte verfassungswidrig wäre (BVerfGE 31, 58, 77 = NJW 71, 1509, 1512 – Spanierurteil). Zum einen bedarf es eines gewissen Inlandsbezugs (BGHZ 120, 29, 34 = NJW 93, 848). Es ist im Einzelfall zu prüfen, inwieweit das Grundrecht unter Berücksichtigung der Gleichstellung der Staaten und der Eigenständigkeit ihrer Rechtsordnungen in Bezug auf den konkreten Sachverhalt Geltung beansprucht (BGHZ 60, 68, 79 = NJW 73, 417). Zum anderen muss der Widerspruch mit den wesentlichen Grundsätzen nach § 328 I Nr 4 offensichtlich sein, was jedenfalls als Postulat für eine restriktive Auslegung des ordre public zu verstehen ist (dazu Wieczorek/Schütze/Schütze § 328 Rz 43).
4. Einzelfälle.
a) Punitive Damages.
Rn 27
Ein Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte kann in der Verurteilung zu Strafschadensersatz gesehen werden. Da hier die Sanktionswirkung einer Strafe ohne die rechtsstaatlichen Garantien eines geordneten Strafverfahrens eintritt und ein Einzelner an die Stelle des Bestrafungsmonopols des Staates tritt, verstößt der Strafschadensersatz gegen den ordre public. Da daneben auch ...