Gesetzestext
(1) Den Parteien ist gestattet, der Beweisaufnahme beizuwohnen.
(2) Wird die Beweisaufnahme einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht übertragen, so ist die Terminsbestimmung den Parteien ohne besondere Form mitzuteilen, sofern nicht das Gericht die Zustellung anordnet. Bei Übersendung durch die Post gilt die Mitteilung, wenn die Wohnung der Partei im Bereich des Ortsbestellverkehrs liegt, an dem folgenden, im Übrigen an dem 2. Werktage nach der Aufgabe zur Post als bewirkt, sofern nicht die Partei glaubhaft macht, dass ihr die Mitteilung nicht oder erst in einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.
A. Normzweck.
Rn 1
Der vom allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der §§ 169 ff GVG zu unterscheidende Grundsatz der Parteiöffentlichkeit soll es den Parteien ermöglichen, an der Beweisaufnahme mitzuwirken. Er wird daher durch den Ausschluss der Öffentlichkeit nach §§ 170 ff GVG nicht berührt. Er verschafft den Parteien insoweit rechtliches Gehör und dient der Verwirklichung dieses Grundrechts (München NJW-RR 88, 1534, 1535; St/J/Berger Rz 1). Die Anwesenheit der Parteien, ihre Anregungen, Frage- und Hinweismöglichkeiten sichern nicht nur in ihrem Interesse eine möglichst zutreffende Tatsachenfeststellung. Dies kommt in den Fragerechten der §§ 397, 402, 451 und den Hinweismöglichkeiten beim Augenscheins- und Urkundenbeweis besonders deutlich zum Ausdruck. Erst ihre Anwesenheit eröffnet ihnen die Möglichkeit, fundiert über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln, wie von § 285 vorausgesetzt. Abs 2 sichert die Verwirklichung dieses Grundsatzes durch die Bekanntgabe des Beweistermins ab.
B. Voraussetzungen.
I. Anwendungsbereich.
Rn 2
§ 357 gewährleistet die Teilnahme der Parteien für jede Art der Beweisaufnahme, sei es vor dem Prozessgericht, vor dem beauftragten oder ersuchten Richter, innerhalb oder außerhalb des Gerichtsgebäudes. Die Vorschrift gilt auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren, § 46 I, II 1 ArbGG. Als Ausprägung des rechtlichen Gehörs ist der Grundsatz auch im schiedsgerichtlichen Verfahren zu beachten, § 1042 I. Deshalb gilt er auch in FGG-Verfahren (BayObLG NJW 67, 1867 [OLG Koblenz 20.02.1967 - 2 W 89/67]). Nach § 30 I FamFG ist § 357 I jedenfalls bei förmlicher Beweisaufnahme entsprechend anzuwenden (Schulte-Bungert/Weinreich/Brinkmann § 30 FamFG Rz 27f); beim Freibeweis sollte nur in den Fällen auf eine Mitwirkung der Beteiligten verzichtet werden, in denen eine Gehörsverletzung uU auch durch nachträgliche Anhörung der Parteien zum Beweisergebnis ausgeschlossen erscheint (großzügiger Schulte-Bungert/Weinreich/Brinkmann § 29 FamFG Rz 12f).
Rn 3
Das Teilnahmerecht steht der Partei selbst und ihrem Prozessbevollmächtigten zu. Dies gilt auch im Anwaltsprozess. Die Partei kann aber ihre Rechte dort nur im Beisein ihres Anwalts ausüben, § 137 IV. Auch einem Nebenintervenienten kann die Teilnahme an den Beweisaufnahmen nicht verwehrt werden, da sonst die Tatsachenbindung (§ 68) nicht zu rechtfertigen wäre. Neben dem Prozessbevollmächtigten kann die Partei auch sachverständige Personen hinzuziehen, um die Beweiserhebung mit deren Kenntnissen etwa auf medizinischem, technischem oder betriebswirtschaftlichem Gebiet sachkundig begleiten und beeinflussen zu können (BGH NJW-RR 16, 606 [BGH 09.12.2015 - IV ZR 272/15] Rz 19; Schnapp FS Menger, 557, 568).
Rn 4
Auch wenn die Tatsachenermittlung durch den SV keine gerichtliche Beweisaufnahme ist (s.o. § 355 Rn 8 f), ist den Parteien soweit möglich und zumutbar eine Teilnahme an Orts- und sonstigen Untersuchungsterminen zu ermöglichen, bei denen der SV die Tatsachengrundlagen für sein Gutachten ermittelt (BGH ZZP 67, 295, 297; NJW 75, 1363 [BGH 15.04.1975 - X ZR 52/75]; Köln NJW-RR 1996, 1277). Dies ist auch bei Weisungen nach § 404a IV zu beachten. Bei medizinischen Untersuchungen wird eine Teilnahme der Gegenpartei gegen den Willen des Untersuchten idR dessen Menschenwürde verletzen und daher unzumutbar sein (München GesR 15, 634 [OLG München 01.06.2015 - 24 W 881/15]; Frankf MDR 10, 652 [OLG Düsseldorf 10.02.2010 - I-15 U 276/09]).
Rn 5
Der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit gibt kein Recht auf Zutritt zu fremden Grundstücken oder Wohnungen. Verweigert der insoweit Verfügungsberechtigte einer Partei den Zugang, muss die Beweisaufnahme deshalb unterbleiben, soweit nicht eine Anordnung nach § 144 II getroffen wird. Hängt der Zugang von der Zustimmung einer Partei ab, kann es sich um Beweisvereitelung (§ 286 Rn 101) handeln, soweit sie ihre Weigerung nicht auf Sachgründe stützen kann (zurückhaltend Jankowski NJW 97, 3347 ff). Ein Zeuge, der in seiner Wohnung vernommen werden soll, verweigert der Sache nach die Aussage, wenn er einer Partei den Zutritt verweigert. Soweit ihm kein Aussageverweigerungsrecht zusteht, ist er vor Gericht zu laden oder eine Vernehmung an einem anderen Ort gem § 128a II durchzuführen (Musielak/Stadler Rz 3).
II. Ausnahmen.
Rn 6
Die Partei kann weiterhin nach § 177 GVG aus dem Sitzungsraum entfernt werden. Auch 247 StPO analog ist anwendbar. Das Gericht kann mithin anordnen, eine Partei solle währe...