Gesetzestext
(1) Die Aufnahme des Zeugenbeweises darf einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht nur übertragen werden, wenn von vornherein anzunehmen ist, dass das Prozessgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag, und
1. |
wenn zur Ausmittlung der Wahrheit die Vernehmung des Zeugen an Ort und Stelle dienlich erscheint oder nach gesetzlicher Vorschrift der Zeuge nicht an der Gerichtsstelle, sondern an einem anderen Ort zu vernehmen ist; |
2. |
wenn der Zeuge verhindert ist, vor dem Prozessgericht zu erscheinen und eine Zeugenvernehmung nach § 128a Abs. 2 nicht stattfindet; |
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wenn dem Zeugen das Erscheinen vor dem Prozessgericht wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann und eine Zeugenvernehmung nach § 128a Abs. 2 nicht stattfindet. |
(1a) Einem Mitglied des Prozessgerichts darf die Aufnahme des Zeugenbeweises auch dann übertragen werden, wenn dies zur Vereinfachung der Verhandlung vor dem Prozessgericht zweckmäßig erscheint und wenn von vornherein anzunehmen ist, dass das Prozessgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag.
(2) Der Bundespräsident ist in seiner Wohnung zu vernehmen.
A. Normzweck.
Rn 1
Zweck des § 375 ist nicht, dem Prozessgericht die Möglichkeit zu eröffnen, häufig zeitraubende Zeugenvernehmungen zu externalisieren. Vielmehr soll – jedenfalls im praktisch häufigsten Fall des § 375 I Nr 3 – unter Abwägung der Vorzüge der unmittelbaren Beweisaufnahme einerseits, der möglichst geringen Beeinträchtigung des Zeugen andererseits ein vertretbarer Kompromiss gesucht werden.
B. Anwendungsvoraussetzungen iE.
Rn 2
Die Beweisaufnahme, hier: die Zeugenvernehmung durch den beauftragten oder ersuchten Richter stellt zunächst eine Abkehr vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme dar (§ 355). Zulässig ist sie daher nur unter Beachtung nachfolgender Voraussetzungen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so berechtigt dies das Prozessgericht keineswegs, die Beweisaufnahme gänzlich zu unterlassen; vielmehr hat sie dann unmittelbar vor dem Prozessgericht stattzufinden (Nürnb OLGR Nürnb 03, 352). Über § 451 ZPO gilt die Vorschrift auch für die Anhörung von Parteien, und zwar auch im Anwendungsbereich des FamFG (BGH NJW-RR 16, 583 [BGH 21.01.2016 - I ZB 12/15], Rz 9). Auf die Anhörung eines Betroffenen im Betreuungsverfahren kann die Vorschrift nicht angewendet werden (BGH NJW 12, 317 [BGH 09.11.2011 - XII ZB 286/11], Rz 27).
I. Vorrang der Video-Vernehmung.
Rn 3
Die Video-Vernehmung von Zeugen hat in den Fällen des § 375 I Nr 2 und 3 stets Vorrang; ein Vorgehen gem § 375 kommt also nur dann in Betracht, wenn eine Vernehmung gem der Vorschrift des § 128a II – zu deren Akzeptanz s § 128a Rn 1 – nicht stattfindet.
II. Würdigung der Glaubwürdigkeit.
Rn 4
Weitere Voraussetzung des § 375 I ist, dass das Prozessgericht prognostisch das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag (Bremen OLGR Bremen 09, 352, Rz 13). Wenn es also auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen ankommt, wird ein Verfahren gem § 375 regelmäßig ausscheiden, zB dann, wenn einander widersprechende Aussagen von Zeugen zu erwarten sind (Zö/Greger § 375 Rz 1; BSG 12.9.18 – B 14 AS 414/17 B Rz 11). Diese Voraussetzung führt im Ergebnis dazu, dass bei sachgerechter Anwendung § 375 weitgehend leer laufen muss. Hat das Prozessgericht zB die Vernehmung zweier Zeugen im Wege der Rechtshilfe angeordnet und hat dies einander widersprechende Aussagen der Zeugen erbracht, so erwächst dem Prozessgericht aus § 398 die Pflicht, die Glaubwürdigkeit der Zeugen durch deren wiederholte, unmittelbare Vernehmung eigenständig zu beurteilen (Frankf OLGR Frankf 07, 321). Nur in den Fällen, in denen ein ›unangefochtener‹ Zeuge lediglich objektiv nachprüfbare Daten mitzuteilen hat, wird es nicht auf den persönlichen Eindruck vom Zeugen ankommen. In der praktisch weitaus größten Zahl der Fälle wird das – gesamte – Prozessgericht daher die Zeugenvernehmung nicht umgehen können.
III. Gesetzliche Vorschriften.
Rn 5
Im Sinne des § 375 I Nr 1 Alt. 2 vorgeschrieben ist die Vernehmung von Zeugen außerhalb des Gerichts zB durch § 375 II (Bundespräsident) und § 382 (Minister und Abgeordnete des Bundes und der Länder).
IV. § 375 I Nr 1 Alt. 1.
Rn 6
Sachdienlich iSd § 375 I Nr 1 ist die Zeugenvernehmung zB dann, wenn sie mit einem Augenschein verbunden wird (zB: zur Beurteilung eines Verkehrsunfalles wird ein Ortstermin an der Unfallstelle anberaumt, zu dem ein SV beigezogen wird; die Zeugen sollen dem Gericht und dem SV an Ort und Stelle den Unfallhergang verdeutlichen. Dieses Bsp zeigt zugleich, dass die Durchführung der Beweisaufnahme durch das Prozessgericht, das letztlich auch über die dem SV zu liefernden Anknüpfungstatsachen entscheiden muss, häufig unausweichlich sein wird, ein Fall des § 375 I Nr 1 Alt 1 also gerade nicht vorliegt).
V. § 375 I Nr 2.
Rn 7
Der praktisch relevante Fall der Verhinderung des Zeugen iSd § 375 I Nr 2 (neben Inhaftierung und hohem Alter) ist seine zur ...