Gesetzestext
(1) Ein an sich unzuständiges Gericht des ersten Rechtszuges wird durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien zuständig, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind.
(2) 1Die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges kann ferner vereinbart werden, wenn mindestens eine der Vertragsparteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. 2Die Vereinbarung muss schriftlich abgeschlossen oder, falls sie mündlich getroffen wird, schriftlich bestätigt werden. 3Hat eine der Parteien einen inländischen allgemeinen Gerichtsstand, so kann für das Inland nur ein Gericht gewählt werden, bei dem diese Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand hat oder ein besonderer Gerichtsstand begründet ist.
(3) Im Übrigen ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zulässig, wenn sie ausdrücklich und schriftlich
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nach dem Entstehen der Streitigkeit oder |
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für den Fall geschlossen wird, dass die im Klageweg in Anspruch zu nehmende Partei nach Vertragsschluss ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes verlegt oder ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist. |
A. Normzweck und dogmatische Einordnung.
Rn 1
Der Regelung des § 38 liegt die Entscheidung des Gesetzgebers für ein grds Verbot der Prorogation und eine regelmäßige Formbedürftigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen unter Beteiligung strukturell unterleger (Privat-)Personen zu Grunde (Keller Jura 08, 523; Zö/Schultzky vor § 38 Rz 2). Sie stellt damit eine bewusste Abkehr von dem vor ihrer Inkraftsetzung zum 1.4.74 geltenden Grundsatz der Prorogationsfreiheit dar, der aus Sicht des Gesetzgebers keine hinreichende Gewähr dafür bot, dass die vertragsschließenden Parteien sich gleichermaßen der Bedeutung der Prorogation bewusst sind und die Wahrung ihrer Interessen darauf einstellen können (Köln NJW-RR 92, 571). Die zwingenden, nicht abdingbaren (BGH NJW-RR 05, 929, 931 [BGH 14.04.2005 - IX ZB 175/03]) Regelungen in § 38 stellen dabei nicht einfach nur eine gesetzgeberische Zweckmäßigkeitslösung dar, sondern beruhen auf Gerechtigkeits- und Billigkeitserwägungen (BGH NJW 83, 1320, 1322 [BGH 26.01.1983 - VIII ZR 342/81]). Sie sind Ausdruck des Gedankens, dass den Zuständigkeitsregelungen der ZPO ein eigenständiger Gerechtigkeitsgehalt innewohnt, der nicht beliebig der Parteidisposition unterworfen sein soll. Ein Bsp für den Gerechtigkeitsgehalt der Zuständigkeitsregeln der ZPO ist der allgemeine Beklagtengerichtsstand, der auf dem Leitgedanken beruht, dass der Zeitvorteil, den der Kl regelmäßig gewinnt, wenn er den Bekl zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt mit einer Klage überzieht, dadurch kompensiert wird, dass die Klage regelmäßig am Wohnort oder Sitz des Bekl erhoben werden muss (Hambg NJW-RR 99, 1506, 1507 [OLG Hamburg 26.03.1999 - 1 U 162/98]). Insbesondere soll durch die Indisponibilität des Zuständigkeitsrechts der ZPO aus Gründen der Waffengleichheit, der Verfahrensgerechtigkeit und nicht zuletzt aus sozialstaatlichen Erwägungen heraus verhindert werden, dass die in das Zuständigkeitsrecht der ZPO eingeflossenen Wertentscheidungen und Schutzmechanismen infolge des Ungleichgewichts der Marktteilnehmer ausgehöhlt werden und das gesetzliche Zuständigkeitstableau durch privatautonome Regelwerke zu Gunsten der strukturell überlegenen Parteien auf den Kopf gestellt wird (vgl Meyer-Lindemann JZ 82, 592).
Rn 2
Die Gerichtsstandsvereinbarung ist eine Parteiabrede, die regelt, dass für Rechtsstreitigkeiten, die ein bestimmtes Rechtsverhältnis betreffen, ein konkretes Gericht oder – streitwertabhängig – die Gerichte eines konkreten Bezirks zuständig oder nicht zuständig ist bzw sind (Keller Jura 08, 523). Wiewohl in rechtsdogmatischer Hinsicht strittig ist, ob es sich bei der Prorogations-/Derogationsabrede um einen prozessrechtlichen Vertrag, eine materiell-rechtliche Vereinbarung oder einen Vertrag mit materiell- und prozessrechtlicher Doppelnatur handelt (Keller Jura 08, 523, 524), besteht Einigkeit insoweit: Die Zulässigkeit und die Rechtsfolgen einer solchen Vereinbarung beurteilen sich nach Prozessrecht, also bei Anwendbarkeit der ZPO nach § 38, während das Zustandekommen dieser Vereinbarung nach materiellem Recht, also dem Vertragsrecht derjenigen Rechtsordnung zu beurteilen ist, die nach kollisionsrechtlicher Prüfung zur Anwendung gelangt, mithin entweder nach ausländischem oder deutschem Recht (BGH NJW 97, 2885 f; NJW 72, 1622, 1623 [BGH 17.05.1972 - VIII ZR 76/71]; Saarbr NJW 00, 670, 671 [OLG Saarbrücken 13.10.1999 - 1 U 190/99 - 37]). Daher gelten sowohl hinsichtlich des Zustandekommens als auch hinsichtlich der Ermittlung des Inhalts und der Reichweite einer Gerichtsstandsabrede die allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre, insb zur Auslegung von Willenserklärungen und zur Feststellung eines etwaigen Rechtsbindungswillens (§§ 133, 157 BGB; Brandbg NJW 06, 3444). Demnach ist Grundvoraussetzung, dass das vereinbarte...