Rn 5
§§ 397, 402 gewährleisten den Anspruch der Parteien aus Art. 103 I GG auf rechtliches Gehör und geben ihnen – auch im selbstständigen Beweisverfahren (BGH BauR 2010, 932, Rz 9) – das Recht, dem Sachverständigen (auch wenn er ein schriftliches Gutachten erstattet hat), – auch mündlich – Fragen zu stellen, und somit auch das Recht, das Erscheinen des Sachverständigen vor Gericht zu erzwingen (BVerfG NJW-RR 13, 626, Rz 20; FamRZ 15, 2042, Rz 17; NZS 18, 859 Rz 3). Für die Frage, ob also die Ladung des Sachverständigen zur Erörterung seines schriftlichen Gutachtens geboten ist, kommt es nicht auf die Auffassung des Gerichts an, ob noch Erörterungsbedarf besteht (BGH MDR 17, 785 Rz 3; DWW 17, 230 Rz 6), oder ob ein derartiger Bedarf von der antragstellenden Partei auch nur ansatzweise dargestellt worden ist. Dies entscheidet vielmehr die Partei allein. Dieses Recht der Partei besteht auch unabhängig von § 411 III (BGH MDR 17, 1320 Rz 6). Erforderlich ist nur, dass die Partei angibt, in welcher Richtung sie eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht; die Formulierung konkreter Fragen im Voraus darf der Partei nicht abverlangt werden (stRspr, s BGH NJW-RR 15, 510 [BGH 19.11.2014 - IV ZR 47/14], Rz 8). Das Fragerecht besteht auch dann, wenn es nach Erstattung eines schriftlichen Gutachtens in der 1. Instanz erstmals in der 2. Instanz ausgeübt wird (BGH MDR 09, 1184, Rz 6), und erst recht, wenn in 1. und 2. Instanz zwei Sachverständige einander widersprechende Gutachten erstatten (BGH MDR 11, 317 = NJW-RR 11, 704 [BGH 07.12.2010 - VIII ZR 96/10], Rz 8). Ist allerdings der Sachverständige ›abgelöst‹, also durch einen neuen Sachverständigen ersetzt worden, soll sich auf den ersten Sachverständigen das Fragerecht der Partei nicht beziehen (BGH NJW 11, 852 [BGH 04.11.2010 - III ZR 45/10], Rz 36). Beschränkungen des Fragerechts der Partei können sich allenfalls aus den Gesichtspunkten des Rechtsmissbrauchs (BGH ZfIR 18, 559 [BGH 12.04.2018 - V ZR 153/17] Rz 16; MDR 17, 785 Rz 3) oder der Prozessverschleppung ergeben (BGH NJW-RR 09, 1361 [BGH 14.07.2009 - VIII ZR 295/08], Rz 10; Köln 27.2.13 – 16 W 1/13, Rz 9 f: ›Zurückhaltung geboten‹); wahrscheinlich nur idS wollen das BVerwG und das BSG das Recht der Partei, den Sachverständigen zu befragen, verneinen, wenn ausgeschlossen sei, dass die Befragung Sachdienliches erbringen könne (BVerwG 26.6.09 – 8 B 56/09, Rz 5; BSG 26.5.15 – B 13 R 13/15 B Rz 9). Die Auffassung, ein Fragerecht bestehe nicht, wenn die Beweisfrage schon eindeutig beantwortet sei (BayLSG NZS 12, 640, Rz 79), ist mit der st Rsp des BGH (a.a.O.) und des BSG (17.4.12 – B 13 R 355/11 B, Rz 13 ff) praktisch nicht vereinbar; gleiches gilt für die Erwägung, der Beweisführer müsse die Ermessensfehlerhaftigkeit der Entscheidung des Gerichts, den Sachverständigen nicht anzuhören, darstellen (BSG 19.4.17 – B 13 R 339/16 B Rz 10). Statthaft ist es freilich, vor der mündlichen Anhörung des Sachverständigen bei ihm zunächst eine schriftliche Ergänzung seines Gutachtens einzufordern (BVerfG NZS 18, 859 Rz 3; München 1.4.09 – 1 W 1169/09, Rz 4). Ist der Sachverständige bereits erstinstanzlich mündlich angehört worden und hat er in der Berufungsinstanz ein schriftliches Ergänzungsgutachten erstattet, so soll der Antrag auf erneute mündliche Anhörung einer konkreten Darlegung bedürfen, welche Tatsachen weiterer Aufklärung bedürfen (Brandbg 30.9.10 – 12 U 50/10, Rz 27). Verfassungsrechtlich geboten ist es jedenfalls nicht, einem rechtzeitigen und nicht rechtsmissbräuchlichen Antrag auf Anhörung des Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten; die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (BVerfG NJW-RR 13, 626, Rz 21). In Betracht kommt daneben auch die weitere schriftliche Ergänzung des Gutachtens oder die Beauftragung eines weiteren Sachverständigen (BVerfG NZS 18, 859 Rz 3; FamRZ 15, 2042, Rz 19). Auf nicht gerichtlich eingeholte, sondern von der Partei selbst beigebrachte Gutachten ist § 397 nicht anwendbar (BVerwG 31.1.12 – 9 B 58/11, Rz 5).