Prof. Dr. Christian Katzenmeier
Gesetzestext
(1) Das Gericht hat die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten und kann ihm für Art und Umfang seiner Tätigkeit Weisungen erteilen.
(2) Soweit es die Besonderheit des Falles erfordert, soll das Gericht den Sachverständigen vor Abfassung der Beweisfrage hören, ihn in seine Aufgabe einweisen und ihm auf Verlangen den Auftrag erläutern.
(3) Bei streitigem Sachverhalt bestimmt das Gericht, welche Tatsachen der Sachverständige der Begutachtung zugrunde legen soll.
(4) Soweit es erforderlich ist, bestimmt das Gericht, in welchem Umfang der Sachverständige zur Aufklärung der Beweisfrage befugt ist, inwieweit er mit den Parteien in Verbindung treten darf und wann er ihnen die Teilnahme an seinen Ermittlungen zu gestatten hat.
(5) 1Weisungen an den Sachverständigen sind den Parteien mitzuteilen. 2Findet ein besonderer Termin zur Einweisung des Sachverständigen statt, so ist den Parteien die Teilnahme zu gestatten.
A. Normzweck.
I. Effektive Kooperation von Gericht und SV.
Rn 1
Die effektive Kooperation von Gericht und SV bei klarer Aufgabenabgrenzung ist von großer praktischer und auch rechtsstaatlicher Bedeutung. Auf der einen Seite bleibt das Gericht Herr des Verfahrens, der SV ist weisungsgebundener Gehilfe (Zö/Greger § 404a Rz 1; s aber auch MüKoZPO/Zimmermann § 404a Rz 1), auf der anderen Seite darf die Eigenverantwortung und wissenschaftliche Unabhängigkeit des sachkundigen Spezialisten in dem ihm zugewiesenen Bereich nicht beschnitten werden (vgl vor §§ 402 ff Rn 1–5). Die durch das RPflVereinfG eingefügte Vorschrift kodifiziert die wesentlichen Pflichten des Gerichts in der Zusammenarbeit mit SV und ist somit Pendant zu § 407a, der die wesentlichen Pflichten des SV normiert (s § 407a VI zur entspr Hinweispflicht des Gerichts). Dadurch soll eine einheitliche Vorgehensweise mit klar feststehenden Aufgaben und Befugnissen des SV und eine rasche, sachdienliche und ordnungsgemäße, nicht zuletzt aber auch kosteneffiziente Durchführung der Beweisaufnahme erreicht werden, bei der die Verwertbarkeit des Gutachtens gesichert ist. Für eine prosperierende Zusammenarbeit sind dabei immer die voneinander abweichenden Herangehens- und Denkweisen des Juristen und der jeweiligen Fachdisziplin zu berücksichtigen, die einen selbstkritischen und geduldigen Austausch erforderlich machen (Ulrich SV Rz 279 ff).
II. Allg Anleitungspflicht.
Rn 2
Zwecks Sicherstellung effektiver Kooperation formuliert Abs 1 eine allg Anleitungspflicht, die hinsichtlich der Beweisfrage in Abs 2 (Pendant zu § 407a IV 1) und des Tatsachenstoffs in Abs 3 und 4 konkretisiert wird. Abs 5 sichert den Anspruch auf rechtliches Gehör (s.a. § 375, Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme), ermöglicht eine frühzeitige Einbindung der Parteien und soll Ablehnungen (§ 406) vermeiden.
B. Einzelerläuterungen.
I. Allg Leitungs- und Weisungspflicht (Abs 1).
Rn 3
Inhalt und Umfang der gebotenen Weisungen richten sich nach dem Einzelfall, wobei auch die forensische Erfahrung des SV zu berücksichtigen ist (zur Ausgestaltung als konstruktiver Dialog s Rn 1). Das Gericht muss den SV in die Grundlagen sowie den Inhalt und Zweck des Gutachtenauftrags vollständig und unmissverständlich einweisen, insb den Ausgangssachverhalt vorgeben (Rn 5–7), ggf sind auch rechtliche Hinweise zu erteilen (zu juristischen Fachbegriffen s vor §§ 402 ff Rn 3; BGH VersR 96, 959 [BGH 12.06.1996 - IV ZR 116/95]; Köln VersR 98, 1249 [OLG Köln 05.05.1998 - 13 U 208/97]). Zur Überlassung der Prozessakten s Rn 6. Relevant ist idR die Klärung der Beweisfrage (s Rn 4), auch soweit darüber hinaus spontane Bedenken zu äußern sind (BGH VersR 82, 168; Oldbg MedR 08, 618); sonst droht Ablehnung, s.u. § 406 Rn 17. Auch Art und Weise des Vorgehens des SV können Gegenstand sein (unter Beachtung der sog Kooperationsmaxime); zum Umgang mit den Prozessbeteiligten und zu Eingriffen s Rn 8–11; Verfahren Rn 15.
II. Abfassung und Erläuterung der Beweisfrage (Abs 2).
Rn 4
Eine frühzeitige Zuziehung des SV kann gerade zur Vermeidung unnötiger Kosten und zeitlicher Verzögerungen sinnvoll sein (vgl EGMR NJW 11, 1055; Schneider/Schmaltz NJW 11, 3270; näher Stamm ZZP 124, 433, 437 ff; Schobel MDR 14, 1003, 1004f). Dabei muss aber sichergestellt werden, dass die Beweisfrage vom Gericht in voller Eigenverantwortung formuliert wird. Es muss eine ›Besonderheit des Falls‹ vorliegen, die zB eine Abklärung des Fachgebiets (s § 404 Rn 2) oder des Kostenvorschusses (§§ 402, 397, s.a. § 407a Rn 9 f) erforderlich macht. Ausnahmsweise können Anschlusstatsachen und Vorbereitungsmaßnahmen (s Rn 5–10) Gegenstand des Auftrags sein. Zur Einweisung des SV in seine Aufgabe und Auftragserläuterung s Rn 3; zum Verfahren Rn 15.
III. Anschlusstatsachen (Abs 3).
1. Gerichtliche Pflicht.
Rn 5
Die dem Gutachten zugrunde zu legenden (sog Anschluss- oder Anknüpfungs-) Tatsachen hat das Gericht grds selbst (idR zeitlich vor der Einholung eines Sachverständigengutachtens) zu ermitteln und dem SV mitzuteilen (Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, § 355; BGH NJW 97, 1446 [BGH 21.01.1997 - VI ZR 86/96]; zu den Ausnahmen s Rn 8–10; s.a. § 355 Rn 9). Dies kann im Beweisbeschl (§ 359 Nr 1) oder in einem gesonderten Beschl, auch in der Zuleitungsanordnung des Vorsitzenden erfolgen (Abs 5 S 1 ist zu beachten, ...