Rn 11
Ein Schriftstück kann nur dann als öffentliche Urkunde, ein elektronisches Dokument (§ 371a II) nur dann als öffentliches elektronisches Dokument qualifiziert werden, wenn es von einer Stelle herrührt, die mit der aus der staatlichen Hoheitsgewalt abgeleiteten Urkundsgewalt ausgestattet ist. Entscheidend ist, dass die beurkundende Stelle berufen ist, unter öffentlicher Autorität staatliche Zwecke zu verfolgen (BGHZ 25, 186, 188 f; St/J/Berger § 415 Rz 3, 4).
a) Öffentliche Behörden.
Rn 12
Der BGH hat den Begriff der Behörde iSd Urkundenbeweisrechts in einer zu § 29 GBO ergangenen Entscheidung wie folgt definiert: ›Eine öffentliche Behörde ist ein in den allgemeinen Organismus der Behörden eingefügtes Organ der Staatsgewalt, das dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder der von ihm geförderten Zwecke tätig zu sein, wobei es für den Begriff der Behörde nicht wesentlich ist, ob die ihr übertragenen Befugnisse Ausübung obrigkeitlicher Gewalt sind oder nicht‹; ebenso wenig spielt es hiernach eine Rolle, ob das Organ unmittelbar vom Staate oder von einer dem Staate untergeordneten Körperschaft zunächst für deren eigene Zwecke bestellt ist (BGHZ 25, 186, 188f). Öffentliche Behörden, deren Funktion Ausfluss der Staatsgewalt ist und in deren Zuständigkeitsbereich demzufolge öffentliche Urkunden errichtet werden können, sind insb inländische (BayObLG 97, 90 = NJW-RR 97, 1015, 1016 [BSG 13.08.1996 - 10 RKg 8/95]; KG MDR 82, 329, 330) und ausländische Gerichte (BGH NJW-RR 07, 1006 [BGH 16.01.2007 - VIII ZR 82/06]), Behörden des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände (Gemeinderat: BGH NVwZ-RR 15, 630, 632), ausländische Behörden (BGH NJW 13, 387, 388 zu Art 6 HZÜ; BVerwG NJW 87, 1159; Zweibr FamRZ 04, 729), Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts wie etwa die Berufsvertretungen (BGH LM Nr 1 zu § 415) oder kirchliche Behörden.
b) Mit öffentlichem Glauben versehene Personen.
Rn 13
Mit öffentlichem Glauben versehene Personen sind insb Notare, die für die Beurkundung von Rechtsvorgängen auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege (s § 1 BNotO) sowie für eine Reihe von Aufgaben auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts mit Urkundsgewalt ausgestattet sind. Urkundspersonen sind darüber hinaus alle Personen, denen kraft Gesetzes bestimmte Beurkundungskompetenzen zugewiesen sind, wie bspw Konsuln, Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, Gerichtsvollzieher (Köln NJW-RR 86, 863 [OLG Köln 23.04.1986 - 2 W 67/86]), Standesbeamte oder die Urkundspersonen des Jugendamtes (s § 59 I SGB VIII), nicht dagegen Dolmetscher (KG FGPrax 2011, 168 [KG Berlin 29.03.2011 - 1 W 415/10]). Rechtsanwälte üben keine hoheitliche Funktion aus, so dass anwaltliche Empfangsbekenntnisse unbeschadet der Wirkung, die § 174 IV ihnen beimisst, keine öffentlichen Urkunden sind, sondern lediglich wie öffentliche Urkunden behandelt werden (BGH NJW 90, 2125; FamRZ 95, 799; NJW 12, 3378; s.a. BGH NJW 01, 2722, 2723; aA BSG NJW-RR 02, 1652; OVG Lüneburg NJW 05, 3802).
c) Post, Sparkassen.
Rn 14
Eine Sonderstellung nehmen nach der Privatisierung der Deutschen Post die Lizenznehmer nach dem PostG ein. Lizenznehmer, die wie die Post AG Briefzustellungsdienstleistungen nach dem PostG übernehmen, sind gem § 33 I PostG verpflichtet, förmliche Zustellungen nach den Vorschriften der Prozessordnungen und der Gesetze über die Verwaltungszustellung vorzunehmen und im Umfang dieser Verpflichtung als beliehener Unternehmer mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet. Damit zieht § 33 I PostG die Konsequenz nach sich, die beliehenen Unternehmen in den Grenzen der Beleihung als ›Behörden‹ iSd § 415 I anzusehen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 415 Rz 13). Darüber hinaus können die jeweiligen Zustellungspersonen unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Dienstverhältnisses als kraft der Beleihung mit öffentlichem Glauben versehene Personen iSv § 415 I qualifiziert werden (BGH NJW 98, 1716; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 415 Rz 18). Im Gegensatz zu diesen Zustellungsurkunden handelt es sich bei den Auslieferungsbelegen der privaten Paketdienste um Privaturkunden (zu DHL-Auslieferungsbelegen: Kobl NJW-RR 14, 762 [OLG Koblenz 20.03.2014 - 5 W 167/14]). Den nach Landesrecht öffentlich-rechtlich organisierten Sparkassen kommt ebenfalls Behördenqualität iSd § 415 I zu, so dass sie öffentliche Urkunden ausstellen können (zu § 29 III GBO: BayObLG DNotZ 97, 337, 340; Zweibr FGPrax 01, 10, 11 [OLG Zweibrücken 30.10.2000 - 3 W 227/00]; LG Marburg NJW-RR 01, 1100 [LG Marburg 22.12.2000 - 3 T 330/00]; zu § 7 II ZVG: BGH NJW-RR 2011, 953, 954 [BGH 07.04.2011 - V ZB 207/10]; Sparkassenbücher: BGH NJW 63, 1630, 1631). Dagegen kann die Postbank mangels Beleihung mit Hoheitsrechten keine öffentlichen Urkunden errichten; die Entscheidung des BayObLG vom 5.7.93 (NJW 93, 2947) bezieht sich in der Begründung ausdrücklich auf die damalige Rechtslage und ist nach der Privatisierung nicht mehr heranzuziehen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 415 Rz 6; B/L/H/A/G/Gehle § 415 Rz 6).