Rn 26
§ 415 II lässt den Nachweis der unrichtigen Beurkundung zu, um die formelle Beweiskraft der öffentlichen Urkunde außer Kraft zu setzen. Der Nachweis bezieht sich auf Falschbeurkundungen (strafbewehrt nach § 348 StGB), nicht auf inhaltlich unrichtige Erklärungen. Die inhaltliche Richtigkeit wird schließlich von der Beweiskraft der Urkunde nicht erfasst. Die Beweisführung kann sämtliche Gegenstände der formellen Beweiskraft erfassen, die beurkundete Erklärung, die Umstände des Beurkundungsvorgangs (Zeit, Ort) oder die Person des Beurkundenden.
Rn 27
§ 415 II betrifft die Fälle, in denen eine öffentliche Urkunde, die formelle Beweiskraft entfaltet, vorliegt. Hiervon zu unterscheiden ist die Verteidigung, die bei den Voraussetzungen des Urkundenbeweises ansetzt. Wird die Echtheit der Urkunde bestritten, sind die §§ 437, 438 zu beachten. Geht es um die Einhaltung wesentlicher Verfahrensvorschriften, so ist zu differenzieren, ob sich der Verfahrensverstoß als sichtbarer Mangel der Urkunde manifestiert hat oder ob es sich um einen ›unsichtbaren‹ Verfahrensverstoß handelt. Ein erkennbarer Verfahrensverstoß liegt etwa vor, wenn die Urkunde Änderungen und Ergänzungen enthält, bei deren Vornahme die Urkundsperson die einschlägigen Verfahrensvorschriften (zB § 44a BeurkG) nicht beachtet hat. In diesem Fall trägt die Urkunde einen Mangel, der bereits die Beweiskraft der Urkunde nach Maßgabe des § 419 beeinträchtigt (BGH WM 56, 794, 796; NJW 94, 2768, 2769 [BGH 15.04.1994 - V ZR 175/92]; Ddorf RNotZ 14, 191, 193). Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt auch vor, wenn der Text von dem beurkundenden Notar entgegen § 13 I 1 BeurkG nicht vorgelesen wurde. Das Verlesen ist in diesem Fall Merkmal der öffentlichen Urkunde über die Erklärung und nicht Gegenstand der Urkunde. Mangels formgerechter Errichtung fehlt es bereits an der formellen Beweiskraft. Wenn schon keine öffentliche Urkunde vorliegt, ist kein Nachweis der unrichtigen Beurkundung gem § 415 II zu führen (Musielak/Voit/Huber § 415 Rz 11; MüKoZPO/Schreiber § 415 Rz 29; aA RGZ 161, 328, 382 zu §§ 2238, 2241 BGB, aA für den Fall der fehlenden Verlesung: St/J/Berger § 415 Rz 31; s.a. BGH WM 1956, 794, 796, wobei allerdings die Besonderheit bestand, dass die Urkunde im Hinblick auf die streitgegenständlichen Teile der Erklärung schon äußerlich mangelhaft war). Wenn die Urkunde den nach § 13 II 2 BeurkG vorgeschriebenen Verlesungsvermerk (Soll-Vorschrift, s Winkler § 13 BeurkG Rz 76) enthält, begründet dieser Vermerk nach § 418 I Beweis dafür, dass die Verlesung stattgefunden hat (Staud/Hertel BeurkG Rz 364; anders die strafrechtliche Beurteilung, s Zweibr NJW 04, 2912 ff [OLG Zweibrücken 16.06.2003 - 1 Ws 236/03]). Auch insofern muss also, wenn die Richtigkeit des Vermerks bestritten wird, der Beweis der Unrichtigkeit nach § 418 II geführt werden. § 13 I 3 BeurkG enthält überdies eine widerlegliche Tatsachenvermutung (BGH NJW 94, 1288, 1289) für die Verlesung, wenn die Erklärungen von den Beteiligten unterschrieben wurden.