Rn 13
Da immer ein individueller Ablehnungsgrund gegeben sein muss, können die in der Sozialgebundenheit des Richters liegenden allgemeinen Beziehungen, die sich aus Geschlecht, Rassenzugehörigkeit, Staatsangehörigkeit, Religion oder Weltanschauung speisen, Misstrauen gg seine Unparteilichkeit nicht begründen (Frankf NJW-RR 98, 1764 [OLG Frankfurt am Main 01.10.1997 - 14 U 151/97]; Wieczorek/Schütze/Niemann § 42 Rz 18; Zö/Vollkommer § 42 Rz 30). In Ausnahmefällen können ähnliche Lebensschicksale von dem Richter nahestehender Personen mit den an einem Rechtsstreit beteiligten Personen die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn es um Wiedergutmachungsleistungen für erlittenes Unrecht geht (vgl BGH NJW-RR 15, 445 [BGH 18.12.2014 - V ZR 84/14]). Vom Richter wird aber grunds erwartet, dass er sich von den daraus ergebenden Einflüssen im konkreten Fall freihält (BayVerfGH NJW 97, 3163). Auch seine allgemeine Einstellung zu politischen und wirtschaftlichen Fragen ist deshalb unbeachtlich (Köln NJW-RR 06, 64 [OLG Köln 27.09.2005 - 23 WLw 9/05]). Eine Ablehnung wegen Befangenheit kann begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gg eine Partei geltend macht oder dies ernsthaft in Erwägung zieht (BGH MDR 20, 1333; NJW 20, 3458 [BGH 28.07.2020 - VI ZB 94/19]; MDR 20, 303). Keinen Ablehnungsgrund bietet ferner die bloße Mitgliedschaft in einer Kirche (BVerfG Beschl v 3.7.13 – 1 BvR 782/12 OS 1c – juris; BayVerfGH NJW 01, 2963), Gewerkschaft (allgM), selbst dann nicht, wenn die Gewerkschaft selbst Partei ist (BAG AP § 42 ZPO Nr 2), in einer politischen Partei (BVerfGE 11, 3 [BVerfG 22.02.1960 - 2 BvR 36/60]; 88, 23), in sonstigen Vereinigungen mit gesellschaftlicher oder rechtspolitischer Zielsetzung oder Interessenverbänden (allgM; Frankf Beschl v 19.4.17 – 2 U 174/16, juris). Im Einzelfall ist eine Befangenheit dann möglich, wenn der Richter die ihm durch § 39 DRiG gesetzte Beschränkung überschreitet und ein innerer Zusammenhang zwischen seiner Mitgliedschaft und dem Verfahrensgegenstand besteht Zö/Vollkommer § 42 Rz 31). Auch kann die Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt sein, wenn er innerhalb einer Organisation aktuell eine exponierte Stellung innehat (Musielak/Voit/Heinrich § 42 Rz 16; Wieczorek/Schütze/Niemann § 42 Rz 16). Es dürfte schon ausreichen, wenn er diese anstrebt, da er dann ein erhebliches persönliches Interesse hat, welches an Voraussetzungen des § 41 Nr 1 gemahnt. Als Abgeordneter eines Kreistags ist er zB im Prozess gg den Kreis befangen (Celle NdsRpfl 76, 91).
Rn 14
Ferner bieten übliche Verhaltensweisen wie ›Duzen‹, Mitgliedschaft in einem ortsgeprägten Verein (Schützenverein oder dgl), die sich aus der gemeinsamen Herkunft des Richters und einer Partei aus einem kleineren Ortsteil mit überschaubarer Einwohnerzahl ergeben, selbst in einer Gesamtschau ohne weitere besondere Umstände keinen Befangenheitsgrund (Hamm NJW-RR 12, 1209 [BGH 14.06.2012 - IX ZR 150/11]).
Rn 15
Problematisch ist das Kollegialitätsverhältnis als Anknüpfungspunkt für die Besorgnis der Befangenheit (Musielak/Voit/Heinrich § 42 Rz 16). Generell ist die gemeinsame Zugehörigkeit zum gleichen Gericht kein Befangenheitsgrund (BGH NJW 57, 1400). Ein vernünftiger Grund, an der Objektivität des Richters zu zweifeln, liegt nur dann vor, wenn über ein bloß kollegiales Verhältnis hinaus ein engeres persönliches Verhältnis des zur Entscheidung berufenen Richters zur gegnerischen Partei besteht (BVerfG NJW 04, 3550). Bei der gebotenen Abwägung dürfen die Gefahren etwaiger ›Solidaritätseffekte‹ nicht überbetont werden. Es ist dem Richter aufgrund seiner Ausbildung, ethischen Tradition und beruflichem Erfahrung möglich, sich dieser Gefahren bewusst zu sein und eine parteiliche Beeinflussung seiner Rspr zu vermeiden (MüKoZPO/Feiber, 2. Aufl, § 42 Rz 12). Steht der erkennende Richter einer Partei näher als nur durch bloße Kollegialität, kann auf seine Selbstanzeige gem § 48 Hs 2 vertraut werden. Auch der Gesetzgeber vertraut dem Richter, wenn er gem § 45 zur Entscheidung über die Ablehnung einen Richter des Gerichts beruft, dem der Abgelehnte angehört. Deswegen ist es nicht ohne Zweifel, die Zugehörigkeit zum gleichen Spruchkörper oder zum gleichen kleineren Gericht generell als einen Umstand zu werten, der über bloße Kollegialität hinausgeht, wenn diese noch besteht oder vor nicht allzu langer Zeit bestand (BVerfG NJW 04, 3550 [BVerfG 29.06.2004 - 1 BvR 336/04]). Das Verhalten eines durch Pensionierung ausgeschiedenen Vorsitzenden eines Spruchkörpers, der unmittelbar danach in eine am Verfahren beteiligten Anwaltssozietät eintritt, kann die Befangenheit der verbliebenen Mitglieder nicht ohne Weiteres begründen (umfassend hierzu: BGH NJW 11, 1358 [BGH 21.02.2011 - II ZB 2/10]). Für länger zurückliegende Zusammenarbeit müssen aus ihr weitere Umstände, etwa Freundschaft oder Feindschaft, fortwirken (BVerfG aaO). Wenn o...