aa) Konfliktpotential.
Rn 30
Naturgemäß wird das Verhalten des Richters (Tun und Unterlassen) in den verschiedenen Verfahrenssituationen zum Anlass genommen, ihn abzulehnen (MüKoZPO/Stackmann § 42 Rz 33), wobei die Praxis zeigt, dass Ablehnungen selten sind (s Rn 1).
Rn 31
Rechtsfindung erfolgt durch Kommunikation (s Rn 4), die häufig nicht eindeutig ist. Zu berücksichtigen ist immer, dass die Verfahrenssituationen und das Verhalten der Beteiligten singulär sind. Jeder Richter hat seine eigene Persönlichkeit, die auch bei gewissenhaftester Neutralität nicht völlig zurücktritt. Diese wird konfrontiert mit Parteien, die um die Durchsetzung ihrer Rechte streiten. Das ›Rechthaben-Wollen‹ lässt die Parteien zuweilen das Verhalten des Richters falsch interpretieren, wenn der Richter ihnen nicht folgt. Da der Richter auf entspr Agieren der Parteien seinerseits reagiert, entsteht leicht ein Konfliktpotential, welches die Partei, die sich benachteiligt fühlt, über einen Befangenheitsantrag zu lösen versucht. Erfahrungsgemäß kommt es fast ausschl in hochstreitigen Verfahren zu Befangenheitsgesuchen, wobei der Streit schon zuvor im Verhältnis der Parteien zueinander in den persönlichen Bereich übertragen worden ist. Die Konflikte sind nie gleich. Das angegriffene Verhalten des einzelnen Richters ebf nicht. Es gibt deswegen eine unabsehbare Zahl von Entscheidungen zur Befangenheit, die sich indes nie schablonenhaft auf den konkreten Befangenheitsantrag übertragen lassen. Da die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen aber auf Vertrauen beruht, welches zumindest auch Vorhersehbarkeit impliziert, sind gleichwohl Kriterien zu entwickeln, anhand derer berechtigte von unberechtigten Ablehnungen abzugrenzen sind. Richtigerweise ist dabei von der Aufgabe des Richters im Zivilprozess auszugehen (MüKoZPO/Stackmann § 42 Rz 33). Ungeachtet des nach wie vor geltenden Beibringungsgrundsatzes hat der Gesetzgeber ihm durch die Neufassung des § 139 (Art 2 ZPO-RG v 27.7.01) mit der Verpflichtung zur materiellen Prozessleitung eine aktive Rolle zugewiesen, die ihn mit den weiteren Verpflichtungen aus §§ 273, 278 zwingen, auf den Prozess gestaltend einzuwirken. Die Erfüllung dieser Pflicht kann im Einzelfall zu einer Gratwanderung führen. Der Richter kann ihr nur nachkommen, wenn er sich von strenger Sachlichkeit und gleicher Distanz zu den Parteien leiten lässt (Zö/Vollkommer § 42 Rz 20). Fairness ist das oberste Gebot.
bb) Angemessenes Verhalten.
Rn 32
Dieses Gebot setzt im persönlichen Umgang mit den Beteiligten voraus, dass sich der Richter in jeder Situation angemessen verhält. Das gilt auch, wenn eine Partei die Provokation sucht (Rn 8). Er hat hierauf adäquat zu reagieren. Zur Abwehr dürfen er oder der Dienstvorgesetzte sich indes einer Strafanzeige bedienen, ohne dass dieses die Befangenheit begründet (Kobl MDR 03, 524). Gleichwohl sollte von dieser Möglichkeit zurückhaltend Gebrauch gemacht werden (Stuttg NJW 77, 112 [OLG Stuttgart 30.06.1976 - 5 W 22/76]). Unangemessen und damit die Besorgnis der Befangenheit begründend ist es, wenn Schriftsätze einer Partei mit unsachlichen Randbemerkungen versehen werden (Kobl NJW 59, 906), ebenso, wenn sich in schriftlichen Entscheidungen oder sonstigen schriftlichen Äußerungen des Gerichts abfällige Wendungen finden, oder wenn eine fernmündlich vorgetragene Rechtsansicht mit ›Meinen sie das ernst‹ kommentiert wird (Kobl Beschl v 23.4.09 – 4 W 171/09 – Rz 20–22, juris; Frankf Beschl v 27.9.18 – 13 W 7/18, juris). Selbst wenn eine Partei ihrerseits den Richter herabsetzt, darf dieser sich in der Sache energisch zu Wehr setzen, nicht aber in der Form mit gleicher Münze heimzahlen. Freimütige oder saloppe Formulierungen sind ihm aber unbenommen (BFH Beschl v 8.10.10 II B 18/10, Orientierungssatz 1 – juris; Zweibr Beschl v 8.1.13 – 3 W 146/12 – Rz 7 – juris).
Rn 33
Auch mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme fordern dem Richter ein angemessenes Verhalten ab. Er hat Gereiztheit, Ungeduld und Unmutsäußerungen zu vermeiden (München Beschl v 28.3.11 – 1 W 240/11 – Rz 5 – juris; Zö/Vollkommer § 42 Rz 22a). Zu beachten ist aber, dass sein Verhalten hier situationsgebunden ist (LSG NRW NJW 03, 2933). Herablassende Mimik während des Parteivortrags kann für eine Ablehnung wg Besorgnis der Befangenheit einerseits schon genügen (OVG Lüneburg DRiZ 74, 194 [OVG Niedersachsen 04.01.1974 - IV B 8/73]), andererseits das ›Anbrüllen‹ einer Partei auf eine Ungehörigkeit nicht (KGR 00, 311). Ein Rechtsgespräch kann in aller Schärfe geführt werden, ohne dass hierin ein Ablehnungsgrund gesehen werden kann, in einer an sich harmlosen Bemerkung aber sehr wohl, wenn sie nicht situationsadäquat ist. Inhaltsgleiche Äußerungen in entspannter Atmosphäre führen nicht zur Besorgnis der Befangenheit, in gereizter schon. Jede generalisierende Betrachtung verbietet sich hier, wobei aber Äußerungen oder Gesten, die die Würde und Ehre einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten herabsetzen, in aller Regel die Ablehnung des Richters rechtfertigen.
cc) Verfahrensleitung.
Rn 34
Bei der Leitung des Verfahre...