Rn 34
Bei der Leitung des Verfahrens kommt es zu mannigfaltigen Situationen, in denen sich die Frage der Besorgnis der Befangenheit stellen kann. Grds begründet eine im Einzelnen fehlerhafte Handlung nicht die Besorgnis der Befangenheit (allgM), insb wenn sie vom Richter unbeabsichtigt oder ihm nicht zuzurechnen ist. So kann wg § 168 I in unterbliebener oder fehlgeschlagener Zustellung ein Ablehnungsgrund nicht gesehen werden. Gerechtfertigt ist die Ablehnung nur, wenn das Handeln des Richters einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt, offensichtlich unhaltbar ist, sich von dem normalerweise geübten Verfahren so weit entfernt und so grob fehlerhaft ist, dass sie als Willkür erscheint (BVerfGE 29, 45, 48 f; Köln FamRZ 17, 1764; MüKoZPO/Stackmann § 42 Rz 47; Zö/Vollkommer § 42 Rz 24; Musielak/Voit/Heinrich § 42 Rz 11). Dies kann sich auch in der tatsächlichen Verfahrensleitung zeigen.
Rn 35
Die Verfahrensdauer stützt über den Ausschluss gem § 41 Nr 7 hinaus unabhängig von ihrer Ursache einen Befangenheitsantrag nicht (Hamm Beschl v 4.1.11 – 1 W 86/10 – Rz 23 – juris: LSG Berlin-Brandenburg Beschl v 19.1.09 – L 1 SF 220/08 – Rz 12, juris). Hier ist die Verzögerungsrüge gem § 198 Abs 3 GVG zu erheben. Untätigkeit kann aber bei Hinzutreten weiterer Umstände, wie Nichtbeantwortung von Sachstandsanfragen der Parteien nach angemessener Zeit (Celle OLGR 99, 108; Karlsr FamRZ 94, 46) oder Nichtweiterleitung von Schriftsätzen (LSG Niedersachsen-Bremen NZS 94, 575 ff) die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen; ebenso die Nichtbescheidung eines Antrags, so das Übergehen des Antrags auf Entbindung des persönlichen Erscheinens einer Partei (LSG Berlin-Brandbg Beschl v 17.6.11 – L 1 SF 264/11 – Rz 1 juris), entscheidungsreifer PKH-Anträge (Brandbg FamRZ 01, 552; Hamm MDR 18, 551). Wird ein kurzfristig vor dem Termin gestellter PKH-Antrag nicht vorher beschieden, begründet dies keinen Ablehnungsgrund (BGH Beschl v 4.5.11 – AnwZ [B] 12/10 – Rz 5 – juris).
Rn 36
Die Verweigerung einer beantragten Terminverlegung begründet für sich regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit (BGH NJW 06, 2492; Bremen Beschl v 20.4.15 5 UF 96/14, juris; Stuttg VersR 11, 1286 [OLG Stuttgart 19.04.2011 - 13 W 21/11]; Frankf NJW 09, 1007 [OLG Köln 26.08.2008 - 4 UF 38/08]), gleiches gilt für eine objektiv nicht erforderliche Vertagung (Stuttg Beschl v 12.7.16 – 3 W 39/16, 43/16, juris) oder die Nichtahndung eines Verstoßes gg die Robenpflicht (LG Stuttgart Beschl v 1.2.18 – 19 O 114/17, juris). Ausnahmsweise kann die Zurückweisung eines Terminverlegungsantrags die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn offensichtlich erhebliche Gründe für eine Verlegung vorliegen (Zweibr NJW-RR 20, 1325 [OLG Stuttgart 28.09.2020 - 6 W 48/20]; Frankf Beschl v 8.6.16 – 6 W 61/16, juris). Sie kann sich nur im Übergehen eines Verlegungs- oder Vertagungsantrags, der unter den Voraussetzungen des § 227 gestellt wird, zeigen (BGH NJW 00, 2492, 2494), bei Zurückweisung des Verlegungsantrags einer Partei, nachdem einem Antrag der anderen stattgegeben worden ist (Köln MDR 03, 170), wenn die Zurückweisung des Antrags für die betreffende Partei schlicht unzumutbar wäre (BGH NJW 06, 2492 [BGH 06.04.2006 - V ZB 194/05]; Köln MDR 10, 283 [OLG Köln 04.09.2009 - 20 W 46/09]; Saarbr NJW 19, 1084) oder wenn die Vertagung wg eines im Prozess nachgeholten Mieterhöhungsverlangens zur Wahrung der Zustimmungsfrist erforderlich ist (LG Berlin GE 15, 916).
Rn 37
Von der Besorgnis der Befangenheit ist auszugehen, wenn bei der Sachverhaltsfeststellung Verfahrensgrundsätze, wie die des rechtlichen Gehörs, missachtet werden. Das Prinzip der Waffengleichheit und die Parteiöffentlichkeit sind in jedem Fall zu wahren (Zö/Vollkommer § 42 Rz 25). Deswegen macht es den Richter befangen, wenn er nicht bereit ist, das Vorbringen einer Partei zur Kenntnis zu nehmen (München ZfBR 20, 567; Oldbg FamRZ 92, 192f), er einseitig einer Partei außerhalb des Verfahrens einen Rat erteilt (BayObLG WuM 97, 69; Brandbg MDR 19, 125; Dresd Beschl v 26.2.18 – 13 VA 1/18, juris), einseitig informiert (Celle OLGR 02, 172), eine Partei unter Ausschluss ihrer Prozessbevollmächtigten vernimmt (Brandbg FamRZ 97, 428), oder eine formlose Ortsbesichtigung mit den Zeugen nur einer Partei durchführt (LG Berlin MDR 52, 558 [OLG Düsseldorf 26.06.1952 - 5 W 102/52]). Das rechtliche Gehör beider Parteien wird in einer die Befangenheit begründenden Weise verletzt, wenn das Gericht sich entscheidungserhebliche Informationen ohne Beteiligung der Parteien verschafft, wie Sachverhaltsermittlung vAw (LG Göttingen NJW-RR 01, 64 [LG Göttingen 07.12.1999 - 10 AR 45/99]), Beiziehung und Verwertung von Akten (BVerfG NJW 94, 1211 [BGH 20.01.1994 - IX ZR 46/93]), Anhörung eines Sachverständigen unter Ausschluss der Parteien, sei es auch zur Vorbereitung eines Vergleichsvorschlags (hM; aA Stuttg NJW-RR 96, 1469; Musielak/Voit/Heinrich § 42 Rz 11). Ein Richter ist jedoch nicht deswegen befangen, weil er einem beauftragten Sa...