Gesetzestext
Der Gegner ist auch zur Vorlegung der in seinen Händen befindlichen Urkunden verpflichtet, auf die er im Prozess zur Beweisführung Bezug genommen hat, selbst wenn es nur in einem vorbereitenden Schriftsatz geschehen ist.
A. Prozessuale Vorlegungspflicht aufgrund Bezugnahme.
Rn 1
Neben dem materiell-rechtlichen Herausgabe- oder Vorlegungsanspruch, auf den der Beweisführer seinen Vorlegungsantrag stützen kann (§ 422), regelt § 423 eine rein prozessuale Vorlegungspflicht des Beweisgegners (MüKoZPO/Schreiber § 423 Rz 1; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 423 Rz 1). Voraussetzung ist die Bezugnahme des Beweisgegners auf die Urkunde (zum Begriff des Beweisgegners s § 421 Rn 2).
Rn 2
Von der Vorlegungspflicht nach § 423 muss die Anordnung der Urkundenvorlegung vAw gem § 142 unterschieden werden, die ebenfalls an die Bezugnahme auf eine Urkunde anknüpft, wobei es für die Urkundenvorlage nach § 142 nicht darauf ankommt, welche Partei sich auf die Urkunde beruft (s hierzu § 142 Rn 6). Das Urkundenbeweisrecht der §§ 420 ff ist bei der Neufassung des § 142 durch das ZPO-RG kaum angepasst worden. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 142 die Vorlage der Urkunde (auch zu Beweiszwecken, BGH NJW 07, 155 [BGH 26.10.2006 - III ZB 2/06], vgl § 420 Rn 2 mwN) angeordnet werden kann, sind weiter gefasst als die Voraussetzungen der prozessualen Vorlegungspflicht nach § 423. Einer einschränkenden Auslegung des § 142 I, die Vorlegung vAw nur unter den Voraussetzungen der §§ 422, 423 zuzulassen, hat der BGH eine Absage erteilt (BGH NJW 07, 2989, 2991 [BGH 26.06.2007 - XI ZR 277/05] mwN; NJW 17, 3304, 3306 [BGH 16.03.2017 - I ZR 205/15]). Umgekehrt erscheint die prozessuale Vorlegungspflicht vor dem Hintergrund des reformierten § 142 in neuem Licht, so dass die bisherigen Auslegungsergebnisse zu § 423 nicht unreflektiert übernommen werden können (vgl Wieczorek/Schütze/Ahrens § 423 Rz 2, 4 ff).
I. Bezugnahme zu Beweiszwecken.
Rn 3
Bisher wurde und wird die Voraussetzung für die prozessuale Vorlegungspflicht des Beweisgegners im Anschluss an die Rspr des RG (RGZ 35, 109; 69, 405 ff; HRR 1933 Nr 1466) traditionell eher eng ausgelegt. Eine Bezugnahme auf die Urkunde ›zur Beweisführung‹ soll nur vorliegen, wenn der Beweisgegner auf die Urkunde als Beweismittel und nicht lediglich auf ihren Inhalt Bezug nimmt (ThoPu/Reichold § 423 Rz 1; St/J/Berger § 423 Rz 1; vgl auch MüKoZPO/Schreiber § 423 Rz 1; Musielak/Voit/Huber § 423 Rz 1). Um einen gewissen Einklang mit § 142 herzustellen (vgl Rn 2), lässt die Gegenansicht jedoch zu Recht jede Bezugnahme zu Aufklärungszwecken ausreichen, um die prozessuale Vorlegungspflicht nach § 423 auszulösen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 423 Rz 5, 6; Zö/Geimer § 423 Rz 1). Im Übrigen kann ein Vorlegungsantrag des Beweisführers auch als Anregung an das Gericht verstanden werden, Urkundenvorlage vAw anzuordnen (nicht umgekehrt, vgl § 420 Rn 2).
II. Keine Einschränkung wegen Geheimhaltungsinteresses.
Rn 4
Stützt sich die Vorlegungspflicht auf die Bezugnahme des Beweisgegners, dann kann der Beweisgegner sich nicht unter Berufung auf ein Geheimhaltungsinteresse (vgl § 422 Rn 6) oder auf das Ausforschungsverbot (vgl § 422 Rn 7) gegen die Urkundenvorlage wenden (MüKoZPO/Schreiber § 423 Rz 2; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 423 Rz 2).
B. Rechtsfolge.
Rn 5
Inhalt der prozessualen Vorlegungspflicht ist die Vorlegung der Urkunde vor dem Prozessgericht (Ausnahme: § 434) zur Einsichtnahme zu Beweiszwecken. Kommt der Beweisgegner der Anordnung des Gerichts (§ 424) nicht nach, treffen ihn die Beweisnachteile gem § 427. Es besteht insofern kein Unterschied zur Nichtbeachtung einer auf der Grundlage des § 423 ergangenen Vorlegungsanordnung.