Gesetzestext
(1) Befindet sich die Urkunde nach der Behauptung des Beweisführers in den Händen einer öffentlichen Behörde oder eines öffentlichen Beamten, so wird der Beweis durch den Antrag angetreten, die Behörde oder den Beamten um die Mitteilung der Urkunde zu ersuchen.
(2) Diese Vorschrift ist auf Urkunden, welche die Parteien nach den gesetzlichen Vorschriften ohne Mitwirkung des Gerichts zu beschaffen imstande sind, nicht anzuwenden.
(3) Verweigert die Behörde oder der Beamte die Mitteilung der Urkunde in Fällen, in denen eine Verpflichtung zur Vorlegung auf § 422 gestützt wird, so gelten die Vorschriften der §§ 428 bis 431.
A. Anwendungsbereich.
Rn 1
§ 432 regelt eine besondere Form des Beweisantritts, wenn die (öffentliche oder private) Urkunde sich in der Verfügungsgewalt einer Behörde oder eines Beamten befindet. Die Vorschrift kann analog angewendet werden, wenn die Urkunde erst noch hergestellt werden muss, insb in Form eines Auszugs aus öffentlichen Registern oder Büchern (MüKoZPO/Schreiber § 432 Rz 2; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 4; St/J/Berger § 432 Rz 11). Der Antrag zielt darauf ab, dass das Prozessgericht Amtshilfe in Anspruch nimmt. Hiervon unabhängig besteht für das Prozessgericht die Möglichkeit, gem § 273 II Nr 2 eine Behörde zur Vorbereitung des Verhandlungstermins um Mitteilung von Urkunden zu ersuchen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 3). Dieses Vorgehen kann formlos angeregt werden. In Kartellschadensersatzprozessen finden die Vorschriften des Urkundenbeweisrechts nur nach Maßgabe des § 89d IV GWB Anwendung; für die ›Offenlegung aus der Behördenakte‹ finden sich spezielle Regelungen im GWB.
Rn 2
Der Beweisantritt nach § 432 setzt voraus, dass die Behörde oder der Beamte nicht Prozessgegner, sondern Dritter iSd § 428 ist. Gegen den Prozessgegner erfolgt der Beweisantritt nach § 421, auch wenn es sich um eine Behörde oder einen Beamten handelt (MüKoZPO/Schreiber § 432 Rz 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 1; Musielak/Voit/Huber § 432 Rz 2; Zö/Geimer § 432 Rz 2). Der Beweisführer, der einen materiell-rechtlichen Vorlegungsanspruch gegen die Behörde geltend macht, kann einen Antrag auf Fristsetzung gem § 428 Alt 1 (nicht: § 428 Alt 2) stellen und ein selbstständiges Editionsverfahren gegen die Behörde betreiben (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 2, 3). Die Möglichkeit eines selbstständigen Verfahrens gegen die Behörde schließt den Beweisantritt nach § 432 jedoch nicht aus (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 2; aA Zö/Geimer § 432 Rz 3; Musielak/Voit/Huber § 432 Rz 3, 4). Im Urkundenprozess kann der Beweis nicht nach § 432 angetreten werden (BGH NJW 94, 3295, 3296 [BGH 09.06.1994 - IX ZR 125/93]; ThoPu/Reichold § 432 Rz 3; MüKoZPO/Schreiber § 432 Rz 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 3).
B. Voraussetzungen für den Beweisantritt.
I. Urkundenbesitz einer Behörde oder eines Beamten.
Rn 3
Die (öffentliche oder private) Urkunde muss sich in der Verfügungsgewalt einer Behörde (Begriff: vgl § 415 Rn 12) oder eines Beamten befinden. Hierzu zählt auch der eine staatliche Rechtspflegeeinrichtung verkörpernde Notar (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 5; MüKoZPO/Schreiber § 432 Rz 2). Behörde oder Beamter müssen die Urkunde in dienstlicher Eigenschaft besitzen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 5; Zö/Geimer § 432 Rz 1). Besitzt eine Behörde die Urkunde, ist der einzelne Beamte lediglich Besitzdiener und nicht Besitzer iSv § 432 (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 5).
II. Keine Selbstbeschaffungsmöglichkeit.
Rn 4
Gemäß § 432 II ist ein Beweisantritt in der Form des Antrags auf Urkundenbeiziehung ausgeschlossen, wenn der Beweisführer sich die Urkunde selbst beschaffen kann. Es reicht aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer gesetzlichen Regelung einen Anspruch auf Ausfertigung oder Erteilung einer beglaubigten Abschrift einer öffentlichen Urkunde hat, da die Ausfertigung im Rechtsverkehr das Original vertritt und zudem der Urkundenbeweis gem § 435 regelmäßig durch Vorlage einer beglaubigten Abschrift der öffentlichen Urkunde angetreten werden kann. Derartige Ansprüche sind etwa in §§ 792, 896, §§ 55, 62 PStG, § 51 BeurkG, § 9 HGB, §§ 13 III 2, 357 II FamFG geregelt. Steht die Erteilung im Ermessen der Behörde, kann der Beweisführer nicht auf die Selbstbeschaffung verwiesen werden (MüKoZPO/Schreiber § 432 Rz 5).
C. Beweisantritt.
Rn 5
Der Beweis wird durch den Antrag angetreten, die Behörde oder den Beamten um eine Mitteilung der Urkunde zu ersuchen. Es handelt sich um einen Beweisantrag, der als solcher in der mündlichen Verhandlung gestellt werden muss (MüKoZPO/Schreiber § 432 Rz 6). Besondere Anforderungen, wie sie in den §§ 424, 430 geregelt sind, stellt § 432 nicht auf. Es ist jedoch jedenfalls erforderlich, dass der Beweisführer die Tatsachen angibt, die durch die Beiziehung der Urkunde bewiesen werden sollen. Der Beweisführer muss außerdem substantiiert behaupten, dass die Urkunde sich im Besitz einer Behörde oder eines Beamten befindet, wozu die Angabe hinreichender Umstände gehört, die auf den Urkundenbesitz schließen lassen (MüKoZPO/Schreiber § 432 Rz 6; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 432 Rz 6; St/J/Berger § 432 Rz 5). Außerdem muss die Urkunde so genau bezeichnet werden, das...