Dr. Bernd Müller-Christmann
Gesetzestext
(1) Eine Partei, die den ihr obliegen- den Beweis mit anderen Beweismitteln nicht vollständig geführt oder andere Beweismittel nicht vorgebracht hat, kann den Beweis dadurch antreten, dass sie beantragt, den Gegner über die zu beweisenden Tatsachen zu vernehmen.
(2) Der Antrag ist nicht zu berücksichtigen, wenn er Tatsachen betrifft, deren Gegenteil das Gericht für erwiesen erachtet.
A. Normzweck.
Rn 1
Die Vorschrift regelt die engen Voraussetzungen, unter denen eine Partei einen von ihr zu erbringenden Beweis durch Parteivernehmung antreten kann. Den Antrag auf Parteivernehmung nach § 445 kann nur die beweispflichtige Partei stellen, und nur hinsichtlich der Vernehmung des Gegners. Dem Antrag ist nicht zu entsprechen, wenn das Gericht das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsachen bereits für erwiesen erachtet.
B. Bedeutung der Beweislast.
Rn 2
Nur die beweisbelastete Partei, also die Partei, die die subjektive (formelle) Beweislast für ihr Vorbringen hat, kann beantragen, den Gegner zu vernehmen.
I. Beweisantrag der beweispflichtigen Partei.
Rn 3
Erforderlich ist ein Beweisantrag der beweisbelasteten Partei. Beweispflichtig ist auch derjenige, der eine gesetzliche Vermutung zu entkräften hat. Es handelt sich bei diesem Beweis des Gegenteils um einen Hauptbeweis (§ 292 Rn 5). Dementsprechend lässt § 292 S 2 die Parteivernehmung als Beweismittel ausdrücklich zu. Zum Gegenbeweis, also zur Entkräftung der vom Beweispflichtigen vorgebrachten Beweismittel, ist die Parteivernehmung nach § 445 dagegen nicht zulässig (Ddorf MDR 95, 959; Ahrens Kap 40 Rz 5).
II. Fehlerhafte Beurteilung der Beweislast.
Rn 4
Wird die falsche (nämlich die beweisbelastete) Partei auf Antrag der nicht beweispflichtigen vernommen, so ist deren Aussage grds unverwertbar; streitig ist, ob der Verstoß nach § 295 I geheilt werden kann (so St/J/Berger Rz 10; aM MüKoZPO/Schreiber Rz 9; Wieczorek/Schütze/Völzmann-Stickelbrock Rz 37; Musielak/Voit/Huber Rz 7: keine Heilung, wenn die Beweislastnorm nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht angehört).
C. Subsidiarität.
Rn 5
Die Parteivernehmung nach § 445 I setzt voraus, dass die Partei den Beweis noch nicht vollständig geführt oder andere Beweismittel nicht vorgebracht hat. Zunächst sind also alle anderen vom Beweisführer angebotenen Beweise zu erheben. Dass die bisherige Beweisaufnahme bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der bestrittenen Behauptung ergeben hat (wie bei § 448), ist nicht erforderlich (BGHZ 33, 66; BGH WM 19, 448; Stuttg OLGR 07, 1034). Der Beweisantrag auf Vernehmung des Prozessgegners als Partei darf nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, dieser sei bereits nach § 141 angehört worden (BGH IBR 11, 555 [BGH 28.04.2011 - V ZR 220/10]; München NJW-RR 14, 1123 [OLG München 10.01.2014 - 10 U 2231/13]). Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt nicht, dass der Beweisführer zunächst andere Beweismittel anbietet, bevor er die Vernehmung des Gegners beantragt (MüKoZPO/Schreiber Rz 7). Hat das Gericht bei gleichzeitig vorgebrachten Beweismitteln (vgl § 450 II) zunächst die Zeugen vernommen, muss die Partei, wenn sie nach der Zeugenvernehmung an dem Antrag auf Parteivernehmung festhalten will, diesen wiederholen (Oldbg NJW-RR 90, 125; St/J/Berger Rz 14).
D. Anwendung der Verspätungsregeln.
Rn 6
Ist der Beweis noch nicht vollständig geführt, kann der Beweisantritt durch Parteivernehmung auch nach Ausschöpfung der übrigen Beweismittel erfolgen; erst ab diesem Zeitpunkt greifen §§ 282 I, 296 II, 531 ein. Hat die Partei andere Beweismittel nicht vorgebracht, kommt eine Zurückweisung dann in Betracht, wenn die anderen Beweismittel erst nach durchgeführter Parteivernehmung zum selben Beweisthema angeboten werden. Dies gilt nicht, wenn die Beweisangebote zur Widerlegung der Parteiaussage dienen sollen (Musielak/Voit/Huber Rz 8).
E. Unzulässige Parteivernehmung.
I. Bereits erwiesenes Gegenteil.
Rn 7
Abs 2 verbietet eine Parteivernehmung zur Führung des direkten Gegenbeweises, also zum Beweis der Tatsache, deren Gegenteil das Gericht bereits für erwiesen erachtet. Der Grund für diese Regelung liegt darin, dass der Partei nicht zugemutet werden soll, ein ihr günstiges Prozessergebnis durch die eigene Aussage in Frage zu stellen (Zö/Greger Rz 4). Die bloße Wahrscheinlichkeit des Gegenteils hindert die Parteivernehmung nicht (BGHZ 33, 63, 65). Erforderlich ist vielmehr die volle Überzeugung, sei es infolge Offenkundigkeit (§ 291), einer gesetzlichen Beweisregel (zB §§ 415–418, dazu BGH NJW 65, 1714 [BGH 22.06.1965 - V ZR 55/64]) oder freier Beweiswürdigung (§ 286 I) nach vorangegangener Beweisaufnahme oder ohne eine solche aufgrund des Inhalts der mündlichen Verhandlung. Durch Antrag auf Parteivernehmung kann auch ein indirekter Gegenbeweis geführt werden (R/S/G § 124 Rz 9). Ist das Gericht bspw vom Zustandekommen eines Vertrags bereits überzeugt, kann der Beklagte den direkten Gegenbeweis wegen § 445 II nicht durch Antrag auf Vernehmung des Klägers führen. Ein solcher Beweisantrag ist aber statthaft für die Behauptung, er habe sich zum Zeitpunkt des behaupteten Vertragsschlusses an einem anderen Ort befunden (Bsp nach Musielak/Voit/Huber Rz 9). Damit wird nur ein Indiz behauptet, das einen Schluss auf die Ri...