Dr. Bernd Müller-Christmann
Rn 8
Insb seit und wegen einer Entscheidung des EGMR (NJW 95, 1413 – Dombo Beheer) wird gefordert, § 448 unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit erweiternd auszulegen (Schlosser NJW 95, 1404; Roth ZEuP 96, 484, 497; aA Lange NJW 02, 476, 482f). Dies wird va diskutiert für Vorgänge, die sich ›unter vier Augen‹ abgespielt haben, wenn die maßgebliche Person auf der Gegenseite (also nicht ein außenstehender Dritter) als Zeuge vernommen werden kann, der andere Gesprächspartner aber Partei ist. Der Grundsatz der Waffengleichheit, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf Gewährleistung eines fairen Prozesses und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes sollen in diesen Fällen erfordern, dass eine Partei, die für ein Vier-Augen-Gespräch keinen Zeugen hat, ihre Darstellung des Gesprächs in den Prozess persönlich einbringen kann. Entsprechendes soll gelten, wenn sich ein Vertragspartner durch Abtretung formal die Zeugenstellung verschafft hat (BGH WM 80, 1071, 1073) und bei typischer Einseitigkeit der Beweismöglichkeit, zB im Arzthaftungsprozess (BGH NJW-RR 01, 1431 f [BGH 22.05.2001 - VI ZR 268/00]; Karlsr MDR 10, 1055).
Rn 9
Am weitesten geht ein Ansatz im Schrifttum (St/J/Berger Rz 28 ff; Kwaschik S 266 f; Gehrlein ZZP 97, 451, 474; Coester-Waltjen ZZP 00, 269, 291; Kluth/Böckmann MDR 02, 616, 621): In Fällen, in denen eine Partei über kein anderes Beweismittel verfügt und es nach den Umständen auch nicht möglich ist, eine Wahrscheinlichkeit des eigenen Sachvortrags anders darzutun als durch eigene Angaben, ist danach die beantragte Parteivernehmung anzuordnen (also kein Ermessen, s Rn 12), ohne dass eine auf andere Umstände gestützte Anfangswahrscheinlichkeit verlangt werden darf. Dies ist allerdings keine oder nicht nur eine Frage der Waffengleichheit. Sie betrifft auch den Fall des allein zwischen den Parteien geführten Vier-Augen-Gesprächs, wenn die für den Inhalt der Unterredung beweisbelastete Partei ihre Vernehmung beantragt (BAG NJW 07, 2427, krit Noethen NJW 08, 334 [BAG 22.05.2007 - 3 AZN 1155/06]).
Rn 10
Die Rspr bewegt sich mit vorsichtigen Schritten in diese Richtung, ohne freilich allen Forderungen nachzugeben (Überblick bei Foerste GS Schindhelm S 227 ff; Bruns MDR 10, 417 ff; Greger MDR 14, 313). Anerkannt ist inzwischen, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 448 auf die Sondersituation des Vier-Augen-Gesprächs Rücksicht zu nehmen ist und die Anforderungen an die Zulässigkeit der Parteivernehmung abgesenkt werden müssen (BVerfG NJW 01, 2531 [BVerfG 21.02.2001 - 2 BvR 140/00]). Allerdings hat der BGH bisher auf die Notwendigkeit der Anfangswahrscheinlichkeit bei § 448 nicht ausdrücklich verzichtet (NJW 99, 363 [BGH 16.07.1998 - I ZR 32/96]; 03, 3636; so auch Kobl MDR 14, 679 [OLG Koblenz 03.02.2014 - 3 U 1045/13]), wohl auch, weil nach seiner Auffassung die notwendige Waffengleichheit auch dadurch hergestellt werden kann, dass die ansonsten prozessual benachteiligte Partei nach § 141 angehört wird. Jedenfalls darf nicht sowohl die Vernehmung der Partei gem § 448 als auch ihre Anhörung gem § 141 von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für ihr Vorbringen abhängig gemacht werden (BGH NJW-RR 06, 61, 63 [BGH 27.09.2005 - XI ZR 216/04]). Diese Auffassung hat auch das BAG in mehreren Entscheidungen vertreten (NZA 02, 731 [BAG 06.12.2001 - 2 AZR 396/00]; NJW 07, 2427 [BAG 22.05.2007 - 3 AZN 1155/06]). Das BVerfG verneint die Notwendigkeit einer Parteivernehmung oder Anhörung nach § 141 vAw, wenn der Partei das Ergebnis der Vernehmung eines vom Prozessgegner benannten Zeugen bekannt ist und sie auf Grund ihrer Anwesenheit bei der Beweisaufnahme oder in einem nachfolgenden Termin in der Lage war, ihre Darstellung vom Verlauf eines Vier-Augen-Gesprächs nach § 137 IV persönlich vorzutragen (BVerfG NJW 08, 2170; s auch Oldbg MDR 10, 1078). Den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit auf Fälle anzuwenden, in denen die Beweisnot einer Partei darauf beruht, dass nur der anderen ein ›neutraler‹ Zeuge zur Verfügung steht, lehnt die Rspr ausdrücklich ab (BGH NJW 02, 2247; ZIP 10, 1548; Karlsr FamRZ 07, 225).
Rn 11
Ob das Gericht dem Grundsatz der Waffengleichheit schon dadurch genügen kann, dass die durch ihre prozessuale Stellung benachteiligte Partei nach § 141 persönlich angehört wird (so München OLGR 04, 139), ist fraglich. Zwar wäre damit wohl der Forderung des EGMR Rechnung getragen, weil das erkennende Gericht einer solchen Anhörung den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen geben kann (BGHZ 122, 115, 121 = NJW 93, 1638; BGH NJW 98, 306, 307). Die darin zum Ausdruck kommende Gleichsetzung von Verhandlungs- und Beweiswürdigung führt aber in letzter Konsequenz dazu, dass der Beweislastträger seiner Beweislast durch reinen Parteivortrag genügen könnte. Nach der gesetzlichen Regelung ist es aber keineswegs so, dass Parteianhörung und Parteivernehmung gleichwertig sind (KG MDR 17, 1144; Zö/Greger § 141 Rz 1; Ahrens MDR 15, 185, 186; Laumen MDR 18, 15 [KG Berlin 11.07.2017 - 21 U...