1. Kein Hauptsacheprozess.
Rn 19
Für dieses isolierte selbstständige Beweisverfahren muss geklärt werden, ob derselbe Lebenssachverhalt mit denselben Beteiligten, wobei es nicht auf dieselbe Parteistellung ankommt (Braunschw BauR 01, 990), und demselben Rechtsschutzziel Gegenstand eines Rechtsstreits ist. Ein unterbrochener oder ausgesetzter Rechtsstreit gelten als kein Rechtsstreit (Ddorf JurBüro 84, 280). Beim Urkundenprozess stellt erst das Nachverfahren einen anhängigen Hauptsacheprozess dar (KG JurBüro 68, 391). Das eingeleitete Mahnverfahren gilt als Rechtsstreit (Jena OLGR 00, 59), ebenso der Prozesskostenhilfeantrag mit gleichzeitiger Einreichung der Klage. Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren stellen sich nicht als Rechtsstreit dar. Werden gegen eine Restwerklohnklage Mängeleinreden gebracht, liegt betreffend die behaupteten Mängel ein anhängiges Verfahren vor, sodass das isolierte selbstständige Beweisverfahren betreffend diese Mängel unzulässig ist (LG München I 23.5.12 – 18 OH 5788/12; München 6.8.12 – 9 W 1045/12 Bau). Ob aufgrund eines im Ausland anhängigen Rechtsstreits die Vorschrift des 485 II einschlägig ist, stellt ein Substitutionsproblem dar; im europäischen Rechtsraum anhängige Hauptsacheverfahren sind grds den deutschen gleichwertig, sodass bei einem laufenden belgischen Hauptsacheverfahren ein inländisch beantragtes selbstständiges Beweisverfahren unzulässig ist (Köln BauR 11, 1058).
2. Rechtliches Interesse.
Rn 20
Das rechtliche Interesse des § 485 II ist weit zu fassen. Für einen vom Versicherungsnehmer gegen den privaten Unfallversicherer gestellten Antrag auf Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens zur sachverständigen Klärung der technischen Details und des Grades der Invalidität besteht rechtliches Interesse, wenn der Versicherer geltend macht, ein Versicherungsfall liege nicht vor oder die bedingungsgemäße Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung sei nicht eingehalten (Nürnbg 9.10.14 – 8 W 2010/14). § 485 II 1 enthält keine Einschränkung von S 2, sondern bestimmt nur, wann das Gericht ein öffentliches Interesse nicht verneinen darf (Celle IBR 11, 1352). Anders als beim Antrag gem § 485 I (dazu § 485 Rn 15) ergibt drohende Verjährung ein rechtliches Interesse für einen Antrag gem Abs 2 (Enaux Jahrbuch BauR 99, 169; FAKomm-BauR/Kirberger § 485 ZPO Rz 13. AA Ingenstau/Korbion/Joussen Anh 3 Rz 12), sodass für einen Rechtsanwalt bei drohender Verjährung die Pflicht bestehen kann, ein selbstständiges Beweisverfahren zwecks Beeinflussung des weiteren Laufes der Verjährungsfrist einzuleiten (Celle IBR 11, 551 [OLG Celle 24.06.2011 - 3 W 55/11]). Kein rechtliches Interesse ist gegeben, wenn die begehrte Feststellung sich auf reine Zählvorgänge beschränkt, denn für diese bedarf es keiner Sachkunde.
3. Beweisthemen.
a) Zustand einer Person/Zustand oder Wert einer Sache (Nr 1).
Rn 21
Zustand meint die begriffliche Ausgestaltung (zur Arzthaftung § 485 Rn 18). Dazu zählt auch die fachtechnische Einordnung einer Bauleistung als den anerkannten Regeln der Technik widersprechend oder genügend (München BauR 94, 275; VGH Kassel ESVGH 61, 158; Karlsr 16.1.17 – 15 W 170/16). Zustand meint auch Tatsachen, die sich erst nach Bauteilöffnung ergeben (Köln BauR 05, 752). Der Grad der Invalidität des Versicherungsnehmers gehört zum Zustand einer Person (Nürnbg 9.10.14 – 8 W 2014/14). Die Feststellung eines früheren Zustandes ist gewiss zulässig, wenn der Sachverständige diesen aufgrund persönlicher Besichtigung und Untersuchung ermitteln kann (Oldbg BauR 95, 132; Schlesw IBR 09, 1391. AA B/L/A/H 77. Aufl § 485 Rz 10); die Frage, welche üblichen technischen Anforderungen hinsichtlich der Abdichtung des Kellers eines Gebäudes im Zeitpunkt der Errichtung des Kellers einzuhalten waren, ist im selbstständigen Beweisverfahren zulässig (Hamm NJW 13, 2980 [OLG Hamm 15.07.2013 - 22 W 37/13]). Anderes gilt, wenn etwa wegen der vollständigen Beseitigung der behaupteten Mängel dem Sachverständigen eigene Feststellungen zu dem vormaligen Zustand vor Ort nicht möglich sind; eine hypothetische Begutachtung bloß auf Grundlage streitiger Privatgutachten findet im selbstständigen Beweisverfahren nicht statt (Dresden IBR 13, 509 [OLG Dresden 25.02.2013 - 10 W 109/13]). Ebenfalls nicht zulässig ist die Frage nach dem künftigen Zustand; es kann aber geklärt werden, ob die Werkleistung technisch fehlerhaft würde, wenn der Ausschreibung entsprechend gearbeitet wird (Jena BauR 01, 1945). Zwar betrifft die Frage, ob sich die Bauzeit verlängert hat, kein Rechtsverhältnis iSd § 256, sodass sie nicht per Feststellungsklage klärbar ist (LG Hamburg IBR 12, 242 [LG Hamburg 03.02.2012 - 317 O 181/11]), sie beinhaltet aber einen Zustand iSd Nr 1. Die Frage, ob das vereinbarte Leistungssoll betreffend das zu errichtende Hotel der ›Vier-Sterne-Kategorie‹ entspricht, ist eine für das selbstständige Beweisverfahren unzulässige Rechtsfrage (LG München I IBR 14, 1080). Die Prüffähigkeit einer Architektenrechnung ist – weil Rechtsfrage – unzulässig (Stuttg BauR 99, 514). Gefragt werden kann nach der sachlichen Richtigkeit der Rechnung (Stuttg NZBau 05, 6...